In den vergangenen Wochen gab es eine Vielzahl an Ereignissen, die Justiz und Polizei beschäftigt ha-ben - und damit die Öffentlichkeit: die Hausbesetzung in Wien, Pro- zesse gegen Tierschützer, Josef S., den Sprayer "Puber", Asylwerber aus der Votivkirche, die Ausschreitungen in Bischofshofen, der Identitären-Aufmarsch. Am Umgang mit diesen Fällen gab es Kritik, die die Richtervereinigung nun zu einem offenen Brief veranlasst hat.

Darin heißt es: Sachliche Kritik sei zulässig. "Es ist jedoch nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaften und Gerichte, Erwartungshaltungen der Öffentlichkeit, der Politik oder einzelner Medienvertreter zu erfüllen. Politische Motivation findet bei der Entscheidungsfindung ebenso wenig Raum wie die Erfüllung öffentlich zum Ausdruck gebrachter Rache- oder Freispruchsgelüste."

Das ist bemerkenswert. Wer Kritik am - nicht rechtskräftigen - Urteil gegen Josef S. übt, hat Rachegelüste? Der Spruch beruht auf der Aussage eines einzelnen Polizisten, der sich mehrfach widersprochen hat. Eindrücke, hier wurde der rechtsstaatliche Grundsatz, im Zweifel für den Angeklagten, nicht berücksichtigt, sind Freispruchsgelüste?

Dass der Tierschützerprozess so lange gedauert hat, ist nicht dem hundert Tage eingesperrten Martin Balluch anzulasten. Seine Klage auf Entschädigung wurde diese Woche abgewiesen: Die dreijährige Frist sei verstrichen; er hätte schon zum Zeitpunkt seiner Verhaftung seine Schadenersatzansprüche sichern müssen, lautet die Begründung. Hätte nicht jeder Mensch die Klage erst nach dem Freispruch eingebracht?

Es gibt nicht nur bei Journalisten den Eindruck, der Rechtsstaat sei aus dem Lot. Dazu tragen auch jüngste Polizeieinsätze bei. Wer insgesamt rund 1700 Einsatzkräfte zur Räumung eines Hauses aufmarschieren und Panzerfahrzeuge auffahren lässt, um dann 19 Punks festzunehmen, muss sich die Frage gefallen lassen, ob der Einsatz in dieser Form gerechtfertigt und verhältnismäßig war. Die Antwort auf Fragen, wie viele Beamte es genau waren und wie hoch die Kosten, wird Steuerzahlern bisher verweigert. Über eine parlamentarische Anfrage wurde diese Woche bekannt, dass im Mai beim Marsch der rechten Identitären und der Gegendemos mit insgesamt 600 Personen 110 Polizisten in Zivil waren. Auch da stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit. Wurden Zivilbeamte bei der Teilnehmerstatistik mitgezählt - und auf welcher Seite?

Dabei versichert Konrad Kogler, Generaldirektor für öffentliche Sicherheit: "Wir verstehen uns als Bürgerpolizei." Dass Polizisten ein Urteil exekutieren, das von Immobilienspekulanten erwirkt wurde, die die Punks selbst geholt hatten zur Vertreibung anderer Mieter, ist ein weiterer Grund für rechtsstaatliches Unbehagen. Dabei geht es nicht nur um die Kosten.

Schuld sind die Medien, meint der frühere Strafrecht-Sektionschef Roland Miklau in einem Standard-Gastkommentar: "Muss man das im Rechtsstaat wichtige Grundvertrauen der Bevölkerung in die Justiz durch unbedarfte und generalisierende Darstellungen untergraben?"

Doch Fragen an Justiz und Exekutive müssen gestellt werden. Es geht nicht um Gelüste, wie die Richter insinuieren. Die Erwartung der Bürger ist, dass rechtsstaatliche Prinzipien eingehalten werden und eingesetzte Mittel des Staates verhältnismäßig sind. Dieses Vertrauen ist erschüttert. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, 2.7.2014)