Deutschland sei "in der glücklichen Lage, sich die Verteidigung seiner Werte leisten zu können", schreibt die FAZ in ihrem Leitartikel auf Seite 1. Die deutsche Wirtschaft habe sich arrangiert: "An den verschärften Sanktionen gegen Russland, die diesen Freitag in Kraft treten, gibt es aus ihren Reihen öffentlich praktisch keine Kritik mehr."

Wie anders die Stimmung in Österreich. Putin wurde von der versammelten Wirtschaftselite kürzlich in Wien mit Standing Ovations gefeiert. Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer, erklärte, er sei "nach wie vor gegen Sanktionen". Denn es möge doch niemand glauben, "dass durch Sanktionen Russlands Präsident Wladimir Putin reumütig zurückkehrt, die Krim zurückgibt und sein Interesse an der Ukraine verliert?"

Es muss aber die Gegenfrage erlaubt sein, was dann Putin wohl tut, wenn ihm überhaupt kein Widerstand entgegengesetzt wird? Mit noch brutaleren Mitteln die Ukraine unterminieren, bis sie endlich wieder der folgsame Vasall wird oder gar angeschlossen werden kann? Sich die baltischen Staaten mit ihrer beträchtlichen russischen Minderheit vornehmen?

Der sowjetische Imperialismus war im Grunde ein nationalrussischer Imperialismus und ist als solcher krachend gescheitert. Putin will das auf der Basis einer überständigen völkisch-russischen Philosophie wieder aufleben lassen. Da geht es aber nicht nur um den Schutz irgendwelcher Auslandsrussen vor (nichtexistenter) Verfolgung, sondern um die (Rück-)Eroberung wirtschaftlicher Einflussgebiete. Dieses alte sowjetische Konzept will Putin wiederholen, statt sich zu fragen, warum ein kleiner Staat wie Südkorea Weltmarktführer bei Smartphones ist, Russland aber nichts dergleichen zu bieten hat.

Viele in Österreichs Wirtschaftselite, der Russland-Experte Gerhard Mangott, aber auch die breitere öffentliche Meinung sind bereit, Putin ein Recht auf diesen frechen Zugriff zuzugestehen. Das ist aber altes Denken.

Putins Alternative besteht jetzt in einem Einmarsch in der Ostukraine oder der Einstellung der Hilfe an die separatistischen Söldnerbanden dort. Beides kann ihn aber unmittelbar bedrohen: So wie Nikita Chruschtschow nach seinem Kuba-Abenteuer, das fast zu einem Atomkrieg geführt hatte, vom Politbüro gestürzt wurde, kann Putins Hasard auch seinen Hintermännern zu steil werden. Der Abschuss der malaysischen Maschine hat ja gezeigt, wie wahnsinnig es war, einer Soldateska hochmoderne Waffen in die Hand zu geben. Zieht er hingegen zurück, verliert er die Unterstützung der ultranationalistischen Kreise, die in Russland immer mächtiger werden.

Die dritte Möglichkeit wäre, den Krieg in der Ostukraine einschlafen zu lassen und gleichzeitig in unmittelbare Verhandlungen mit Kiew über einen Interessenausgleich einzutreten. Die EU und die USA wären überglücklich, dabei assistieren zu können. Aber das ist Putin, der offenbar nur an Diktate und Gewaltlösungen glaubt, bisher nicht eingefallen. Deswegen muss man ihm maßvoll, aber entschieden entgegentreten. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 2.8.2014)