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Wenn Liebe nicht hilft: (von links) Paul Großhahn (Daniel Christensen), Grete Hinkemann (Katharina Schmidt) und Hinkemann (Jonas Anders).

Foto: APA/BARBARA GINDL

Salzburg - Der deutsche Soldat Eugen Hinkemann wird im Krieg kastriert. Eine Kugel trifft sein Geschlecht. Was hilft aber die Liebe seiner Frau, wenn die Nachkriegsgesellschaft scheinbar gleichgesinnter Proletarier von gegenseitiger Zerfleischung geprägt ist? Klassenbewusste Pamphlete, Reden von "vernünftigen Verhältnissen", von der rettenden "sozialistischen Gemeinschaft" - sie alle versagen vor dem tiefgreifenden Leid eines Individuums.

Das ist der Kern von Ernst Tollers Heimkehrerdrama Hinkemann (1921/22). Am Donnerstag hatte es in einer bemerkenswerten Inszenierung von Milos Lolic im Rahmen des Young Directors Project (YDP), der Regienachwuchsreihe der Salzburger Festspiele, Premiere. Milos Lolic, 1979 in Belgrad geboren, besitzt Augenmaß; die genaue Lektüre führt ihn zu scharf umrissenen Ideen. Seine Inszenierungen, von denen zwei am Wiener Volkstheater bereits ausgezeichnet wurden (Magic Afternoon und Die Präsidentinnen), sind klar durchdachte, meist auf einer fundierten Grundidee fußende Schöpfungen.

Seinen Salzburger Hinkemann hat er auf dem Skelett eines Ringelspiels angesiedelt (Bühne: Sabine Kohlstedt) und entwickelt darauf ein spannendes Körpertheater. Hier steht und krümmt sich der schutzlose, (fast) nackte Leib des Titelhelden (Jonas Anders) in der Kälte des Rummelplatzgestänges. Auf den Kanten der Karussellstufen versuchen es die Eheleute (Katharina Schmidt als Grete) mit der Liebe. Geht seine Frau mit Max Knatsch (Rainer Galke) fremd, so nimmt das Ringelspiel seine Fahrt auf wie ein gespenstisch gelenktes Raumschiff.

Die ganze Welt der Hor- váth'schen, Büchner'schen und Brecht'schen Außenseiter klingt in diesem "Objekttheater" an. Und ist doch neu: entschlackt vom Lokalkolorit der Weimarer Republik, befreit von der puren Imitation des Leids. Lolics Inszenierung ist viel klüger: Sie legt vor allem in choreografischen Manövern die Prozesse des kleinen Angriffs offen, des kleinen Verrats, der kleinen Heuchelei, des kleinen Egoismus, die allesamt im Tod eines kleinen Individuums münden.

Mit Hinkemann ist ein beachtlicher Start des diesjährigen YDP gelungen. Dem seit 13 Jahren bestehenden Wettbewerb kommt nun der Sponsor abhanden. Montblanc zieht sich von den Festspielen zurück. Man befinde sich derzeit "in einer Findungsphase", so Lutz Bethge von Montblanc bei der Pressekonferenz. Zugeständnisse an Salzburg gebe es keine. Das YDP ist mit heuer also Geschichte. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 2./3.8.2014)