Wien - "Damit ist ein Tabu gebrochen worden", sagt einer der zehn angeklagten Rapid-Fans. Und meint damit, dass ein junger Fußballer des verhassten Stadtrivalen Austria Wien am 3. April vor seinem Heimstadion verprügelt worden ist. Von wem, muss Richterin Michaela Röggla-Weiss nun herausfinden.

Staatsanwältin Stefanie Schön wirft allen schwere Körperverletzung vor - da es eine "verabredete Verbindung" aller Beteiligten gewesen sei. Was eine gelinde gesagt optimistische Anklage ist. Denn selbst das Opfer, U19-Teamstürmer Valentin Grubeck, sagt, er sei nur von zwei Tätern auf dem Parkplatz vor dem Stadion geschlagen und getreten worden - für die Verbindung braucht es mindestens drei.

Zunächst bekennt sich aber überhaupt nur der 21-jährige Erstangeklagte schuldig. Und beteuert gleichzeitig, die ganze Angelegenheit sei quasi ein Versehen gewesen. Denn eigentlich habe man nur den Austria-Fans einen Streich spielen wollen.

Transparente vor dem Derby

Es sei um die sogenannte Choreografie gegangen, genauer, um die Transparente, die die gegnerischen Fans vor dem anstehenden Stadtderby produzieren wollten, wie auch alle Übrigen erstaunlich identisch aussagen.

Diese Choreografie habe man "stören" wollen. Richterin Röggla-Weiss will wissen, wie. Beispielsweise, indem man einen Kübel Farbe über das Transparent leert, bekommt sie zu hören. Oder man zumindest den Slogan der Austria-Fans ausspähen und diesen auf einem eigenen Transparent verhöhnen kann.

Man fuhr also mit zwei Autos zum feindlichen Stadion. Dort angekommen, ging einer voraus, warum, bleibt unklar. Der hätte nämlich eigentlich sehen müssen, dass auf dem Parkplatz weder Transparente noch Fans waren. Anstatt seine Beobachtung den anderen mitzuteilen, ging er einfach weg.

Vermummte Angreifer

Die anderen neun zogen sich ihre Kapuzen ins Gesicht und vermummten sich zum Teil und stürmten los. Der Erstangeklagte und ein zweiter waren offensichtlich schneller als der Rest. Sie erwischten Grubeck nämlich, als der gerade die Kabine verlassen hatte.

Der Erstangeklagte sagt, er habe Grubeck für einen Fan gehalten, so wie alle anderen beteuert er, keine Ahnung gehabt zu haben, dass es sich bei dem Opfer um einen Austria-Fußballer handelt. Denn eine Attacke auf einen Spieler sei eben ein Tabu.

Ob sein Kumpan auch auf den Liegenden hingetreten hat, will oder kann der Erstangeklagte nicht sagen. Dieser wiederum sagt zunächst, er sei etwa einen Meter entfernt gestanden, habe aber nichts gemacht und sei daher unschuldig.

Worauf auch die übrigen Angeklagten plädieren - man sei zwar dort gewesen, aber dutzende Meter entfernt, und als eine Zeugin "Polizei, Polizei!" geschrien habe, seien alle davongerannt.

Problematische Zeugin

Diese Zeugin ist es auch, die Staatsanwältin Schön dazu verführt hat, die schwere Körperverletzung anzuklagen, obwohl das Opfer nur Prellungen erlitt. Denn die Frau sagt aus, sie habe mehrere Leute auf den Parkplatz stürmen gesehen - bei näherer Befragung durch die Verteidiger zeigt sich allerdings, dass ihre Wahrnehmung nicht ganz richtig sein kann.

Nachdem alle Angeklagten und Zeugen ausgesagt haben, fällt dem zweiten unmittelbar Beteiligten, der sich zuvor nicht schuldig bekannt hat, doch noch etwas ein. "Ich kann mir nicht mehr sicher sein, dass ich es nicht war", druckst er herum. "Sind Sie jetzt geständig dazu?", will Röggla-Weiss wissen. "Ja", sagt sein Verteidiger aus dem Off, "Ich kann es nicht ausschließen", er selbst.

Anklägerin Schön ist aber fair genug, dem Objektivitätsgebot der Staatsanwaltschaft Genüge zu tun. Die Choreografie-Störungs-Version hält sie zwar für "einen Schwachsinn", allerdings könne man nur den beiden Geständigen etwas nachweisen, für die anderen acht beantragt sie daher einen Freispruch.

Bedingte Strafen und Training

Was auch Röggla-Weiss so sieht. Sie verurteilt die beiden unbescholtenen Schläger rechtskräftig zu je drei Monaten bedingt plus Anti-Aggressions-Training, die Übrigen dürfen als freie Fans heimgehen. (Michael Möseneder, derStandard.at, 1.8.2014)