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Der Bundespräsident spricht mit Jedermann, und Otto Brusatti hat eine Bitte: "Über Kunst sollten Sie reden; über Selbstbestimmungen durch die Aufklärungsfunktion von Kunst; über die Möglichkeit, damit die Töchter&Söhne wenigstens zu durchschauen."

Foto: APA/FRANZ NEUMAYR

Österreich ist ganz toll. Mindestens 250 Sommer-Festivals von der Welt-Nummer eins bis zur sogenannten und oft speziellen Scheunen-Lesung könnte man auflisten. Jubel-Dokumentationen der Bundesländer sorgen für ein gesteigertes Inseratenaufkommen, die Kulturmedien sind ausgelastet, ziemlich viele Künstlerinnen und Künstler auch; ganz egal, ob die nun sowieso übers Jahr in fürstlichen Engagements oder von der Hand in den Mund leben.

Es soll uns in Österreich nie was Schlimmeres passieren.

Andere führen Bürgerkriege, werden Weltmeister oder verpassen sich selbst eine abenteuerliche Schuldenpolitik. Tu, felix Austria, feiere dich ab und das, was du für Kunst hältst. Da ist es egal, ob man im aktuellen Spitzenmaßstab oder als leider zu oft etwas peinliches Sommertheater vorgeblich mit Ansprüchen agiert. Das Publikum reist, zahlt, übernachtet, frisst, lässt sich eine Menge an Dilettantismus oder Herzigem bieten und gefallen.

Auch hier sollte uns nie was Schlimmeres passieren.

Alles ist sowieso fein. Denn andere schießen derweilen Unbeteiligte ab, veranstalten Religionsgemetzel, als wäre man vom Hieronymus Bosch angeleitet, öffnen die Schere zwischen Armen und Reichen und das immer weiter auseinanderklaffend.

Apropos. Die Subventions- und Gagenschere dürfte im Österreich des Kunst-Kultur-Sommer-Festspiel-etc.-Trubels auch für die Mitwirkenden ähnlich weit offen stehen. Also, zum Beispiel: Jemand gestaltet in einer bemühten Landgemeinde höchst professionell einen tollen Text / Jemand (eigentlich natürlich kein jemand, sondern ein Star der Seitenblicke und des Musikfeuilletons, in dieser Reihenfolge) singt eine Hauptrolle, zum Beispiel eben in Salzburg. Die Relationen und das Klaffen sind vergleichbar.

Suff und Roben-Ausführen

Und, apropos Salzburg. Zugegeben. Inhalte von Festspielen verführen. Nein, nun ist nicht gemeint, dass man sich als Folge des Gesehenen und Gehörten sofort mit dessen strengen (An-)Geboten auseinandersetzen, vielleicht sogar sich in den Feldern von Ethos, Aufklärung oder einem überhaupt Bravsein herumtreiben muss. Die Verführung besteht im gierigen Aufsuchen von Genuss. Nein, nicht nur als Suff und Roben-Ausführen. Gemeint ist hier vielmehr: Man darf sich - in solchen Sommern - unhinterfragt jenen wiedergewälzten Genussangeboten hingeben, welche eben in jeder Kunst so drinnen stecken. Sozusagen als Schönes und Abgefeimtes gleichzeitig.

Niemand werfe nun den ersten Stein. Wer sich schon irgendwas aufgrund einer sauteuren Eintrittskarte hineinziehen darf, der/die wird sich dabei gern selbst feiern. Denn diese angesprochenen, nackten Inhalte, geliefert von fast ausschließlich großen Söhnen, die können wir ja, als Schulden und Notsubventionen abdeckende Töchter&Söhne des Landes, auch mittels des vielfältigen und feinsinnigen Staatsmediums besuchen.

Gleichviel.

Spitzenleistungen einer nationalen International-Kultur dürfen sich mehr befragen lassen als brave Scheunen-Festivals und Sommertheater-Produktionen auf honorigen Hauptplätzen von Kleinstädten.

Oder doch lieber nicht?

Natürlich schreien bei jeder Diskussion über (sagen wir) Festspiele zu Salzburg viele etwas weniger subventionierte Einzel-Kunstszenen gleich auf und herum. Argumentiert wird zudem, dass etwa vor allem Salzburg nichts mehr aktuell abbilde, was Österreichs große Töchter&Söhne so anstellen (außer perfekte Frau/Mannschaften aus den dafür nicht zuständigen Institutionen der Bundestheater nach Westen zu transferieren).

Man frage überhaupt kollegialiter in Szenen nach. Die Antworten sind überraschend und ähnlich: "Ist schon ganz nett, das alles bis hinauf nach Salzburg; aber für ein Opern-Konzert-Theatermuseum wird es zu teuer."

Hoppala. Geld? Gegen die kaum verifizierbaren, stets lieben Argumente von Nachhaltigkeit und Rentabilität findet sich sowieso kein Gegenargument (welch herrliche Tautologie: deswegen, weil sich kein bezifferbares Argument finden lässt.)

Man lässt alte Zuckerln regnen

Hoppala, noch einmal. Aktuelles Abbilden? Die Festspiele offerieren ja tatsächlich fast nur international Museales mit Avantgarde-Ausreden, die nachher niemand wiederverwerten will (böse Menschen, die keine Lieder haben, sagen "Man lässt halt dauernd alte Zuckerln regnen"). Allein - welcher schöpferische Mensch aus Österreich bietet sich an für ein tatsächlich aufwirbelndes Großprojekt; wo sind, wie noch vor einer Generation, ein Bernhard, Handke oder Cerha? Uraufführungen finden auf Nebenschauplätzen statt. Vielgerühmtes Österreich? Tun wir uns an der Nase nehmen - gibt es etwa gar keine Österreicher (Töchter&Söhne), die infrage kämen? Nicht einmal ein innovatives Musical- oder Pop-Festival brächte man zusammen?

Komisch, aber es rechnet schon niemand mehr damit, dass aus den Salzburger Festspielen bloß eine frische Oper, ein Schauspiel, ein Kammermusikgenre, ja selbst ein Bühnenstil in neuer Musik oder ganz kecke Junge Wilde wüchsen, weltweit nachgespielt, prägend, Furore machend. Im Gegenteil, man wäre indigniert. Kreative Thinktanks gibt es wohl, eine Salzburger/Wiener Nomenklatur aber auch. Der Begriff Vision, existiert er hier?

Die Salzburger-Genussspiele überfressen sich am Alten und Herbeigekarrten. Man käme nicht einmal auf die Idee, etwa alle fünf Jahre eine Teilreinigung mit durchaus verstörendem, aktuellem Kargen aus allen Kunstbereichen Österreichs anzubieten. Oder einen neuen Schwerpunkt im Musikprogramm (etwa vor 1600). Oder gar für je eine der sauteuren Produktionen (90 Prozent der Bevölkerung, welche mit ihren Steuern diese ermöglicht, können sich keinen Eintritt leisten) verpflichtend mindestens eine (durch Losentscheid verteilte) Gratisvorstellung anzusetzen. Von einer österreichischen Dramaturgie wachsend aus den abgelaufenen 100 Jahren zwischen Expressionismus und Naturalismus nicht zu reden.

Nur abermals Jedermann und sein oft peinliches Pendant aus den letzten Tagen der Menschheit? Aber dazwischen Mozart, Verdi, Strauss et al. dargebracht als Zuckerlschachteldeckelbild, verkauft als Fest-Spiele. Aber, im Beispiel aktuell, mit falschen Bezugnahmen. Heuer: jenes einträgliche, abgelutschte 1914, mit dem selbst der Eröffnungsredner über unsere "zunehmend gefährliche Welt" herumeierte. Elitäre Plattheiten mit Angstworten für den nachfolgenden Kultur-Catwalk.

Und apropos Eröffnung noch eine Bitte, diesmal eine an den Herrn Bundespräsidenten: Wäre es Ihnen möglich, bei den Eröffnungen der österreichischen Feste von der glücklichen Betroffenheit herunterzusteigen (es ist sowieso stets das Gleiche, was man Ihnen vors Pult mitgegeben hat, egal in welchem Bundesland, für welchen Anlass). Sie treten dort doch ex officio als zentrale Person für ein noch funktionierendes Weltmaßstab-Setzen Österreichs auf? Ja, über Kunst sollten Sie reden; über Selbstbestimmungen durch die Aufklärungsfunktion von Kunst; über die Möglichkeiten, damit die Töchter&Söhne wenigstens zu durchschauen.

Also, bitte, einen Anfang machen, der diese Bezeichnung auch verdient und der so die ungemein teuren Festspiele verpflichtete - durch nachvollziehbare, geforderte, erstaunliche Inhalte ... (Otto Brusatti, Album, DER STANDARD, 2./3.8.2014)