Auf den ersten Blick ist Berlin ein Fressparadies. Junge Menschen kommen aus allen Teilen der Welt hierher und machen begeistert und mit viel Einsatz Restaurants und Geschäfte auf, die Bar- und Restaurantdichte liegt viel näher an Barcelona denn an Wien. Weinbars mit biodynamischen Wein aus Italien, Cafés mit selbstgerösteten Fairtrade-Bohnen, Trattorien mit hausgemachten frischen Nudeln, Burgerläden mit hausfaschiertem Fleisch, Eissalons, die nur mit frischen, saisonalen Früchten arbeiten - hier herumzuspazieren macht sehr schnell sehr hungrig.

Erstaunlich viel davon ist zwar leider einfach schöner Schas, mir ist noch nie eine solche Dichte an schickem und gleichzeitig miesem bis mittelmäßigem Essen untergekommen. Wo so viele Leute etwas probieren, kommt aber schon allein durch die schiere Masse einiges Gutes heraus. Sechs Tage habe ich mich mit tatkräftiger Unterstützung der Australierin durch die deutsche Hauptstadt gefressen, hier ein kleiner Überblick, was wir gefunden haben. Sollten wir einmal mehr Zeit haben: Die fast unüberschaubare Menge an türkischen Bäckereien, chinesischen Imbissen oder orientalischen Teestuben ist sicher eine nähere Inspektion wert.

Zyankali Bar

Haben Sie sich schon immer gefragt, wie 20 Jahre alter Rum, Kakaobohnen, Backpflaumenpüree, und geröstete Hühnerflügelhaut schmecken, nachdem sie drei Monate zusammen in einem alten Sherry-Fass gelagert wurden? Kommen Sie in die Zyankali Bar und finden Sie es heraus. "Institut für Unterhaltungs-Chemie", heißt die Kreuzberger Cocktail-Bar noch, hier wird gebraut und getüftelt und flaschengelagert, dass es eine Freude ist.

Viele klassische Drinks fehlen auf der Karte, dafür stehen dort seitenweise saisonale (!) hausgemachte Liköre, Elixiere und Eigenkreationen. Manche gehen eher daneben, manche aber, etwa der Sazerac, treffen voll ins Schwarze. Der Drink wird in der Gintasse serviert, ist dank der Lagerung herrlich rund, trotzdem umwerfend stark und vibriert vor lauter Absinth-Aromen.

http://www.zyankali.de

The Bird

Auch in Berlin grassiert das Burger-Fieber. Das Bird ist für dortige Verhältnisse ein erstaunlich hässlicher Schuppen, die Burger aber sind umwerfend gut und derb. So saftig, geschmacksintensiv und fett ist er in Wien nicht zu bekommen, und ganz anders als bei uns werden die Labern hier tatsächlich auf Wunsch medium-rare oder rare gebraten. Statt im Brioche kommen die Fleischlabern in einer Art English Muffin (gar nicht schlecht), die hausvergorenen Salzgurken mit ordentlich Dill sind das zweite Highlight neben dem Fleisch. Achtung vor den Steaks! Für sehr viel Geld kommt hier unangenehm weiches amerikanisches Maismastrind auf den Teller, das seinen erstaunlich geringen Geschmack hauptsächlich davon bekommt, dass es zuvor am Grill mehr eingeäschert als gegart wurde.

http://www.thebirdinberlin.com

Yumcha Heroes

Zu den größten Freuden des Chinareisens gehören die unverschämt guten Knödel, die dort allerorts serviert werden. Das Yumcha Heroes zeigt, dass große Dumpling-Kunst durchaus auch hierzulande möglich ist. Frisch, hervorragend gewürzt und in herrlich geschmeidigen Teigen kommen die kleinen Wonneproppen zu Tisch. Ebenfalls großes Kino: der Quallensalat mit Birne und Koriander, die Teeblumen und der Wassermelonen-Lichi-Saft.

Foto: Tobias Müller

Einziger schmerzhafter Wermutstropfen: Xiaolongbao, die Suppenknödel, werden in China mit einem Löffel serviert, damit der Esser das Ding drauflegen, aufstechen und dann verzehren kann, ganz ohne sich wegen der heißen Suppe in den Knödeln den Mund zu verbrennen. Bis nach Berlin hat sich diese tolle Technik noch nicht herumgesprochen.

Tandoor-Bäckerei

In dem kleinen Tandoori-Laden in Kreuzberg stehen drei gasbefeuerte Tonöfen, in die zwei Männer im Sekundentakt frische Fladenbrote klatschen - keine Minute später werden sie heiß und duftend von Mann Nummer drei verkauft. Wer will, bekommt Sesam und ziemlich guten Feta mit eingerollt, das Ding kostet gerade einmal 1,20 Euro und ist köstlich. Vielleicht keine Reise durch die Stadt wert, ich war aber sehr froh, um die Ecke zu wohnen und mindestens einmal am Tag vorbeizuschauen. Sollte ich wiederkommen, werde ich mich auf die Suche nach mehr solchen Geschäften machen. Für Tipps wäre ich sehr dankbar.

Foto: Tobias Müller

Adresse nicht aufgeschrieben, ist aber gleich bei der U8-Station Schönleinstraße, Ausgang Böckhstraße.

Manzini

Berlin ist gastronomisch generell merkbar frankophiler als Wien. Wer sich aber nach besonders viel Paris an der Spree sehnt, ist im Manzini gut aufgehoben. Die Kellner tragen Westen, zum Start kommt Baguette mit gesalzener Butter, und der Rosé von der Loire schmeckt ganz hervorragend zur gedämpften Riesen-Artischocke mit dreierlei Saucen.

http://www.manzini.de

Fischers Fritz

Drei Gänge stünden zur Auswahl, gern auch drei Desserts, hat die Kellnerin im Fischers Fritz vor der Bestellung gescherzt. Es wäre keine schlechte Idee gewesen, Ernst zu machen. Was Patissier Norbert Heisenberg hier kreiert, hat den Rest des Menüs etwas alt aussehen lassen.

Foto: Tobias Müller

Gurken-Koriander-Biskuit, übergossen mit einer kalten Suppe aus Gurken, Koriander, Apfel und Yuzu, war unverschämt gut, überraschend, frisch, unaufdringlich süß und ganz wunderschön. Das Himbeereis mit Thymian daneben war perfekt gemacht, ganz köstlich, bloß fast ein wenig unnötig. Weiße Namelaka-Crème mit herrlich zartbitterem Campari-Gelee und eingedicktem Fenchel-Fichtennadel-Saft war so aromatisch und gut abgeschmeckt wie faszinierend anzusehen.

Bereits das Vordessert hat mit der herrlichen Kombination aus Ananaskompott und Koriander-Kresse bestochen. Da zeigt einer, wie willkürlich die Trennung zwischen Frucht und Gemüse sein kann und was für ein Potenzial in Fenchel und Gurken steckt.

Davor: Rochenflügel mit Zitronen-Kapernsauce und Schnecken mit Spinat, beides zum Niederknien gut, aber halt gar klassisch. Gebackenes 45-Grad-Ei ("Onsenei"), eines der Signature Dishes des Restaurants, und Heilbutt-Carpaccio, beides auch gut, aber meiner Meinung nach ein wenig langweilend. Die Rechnung: 182 Euro.

http://www.fischersfritzberlin.com

Café CK

In manchen Gegenden Berlins gibt es an jedem Häuserblock einen Dritte-Welle-Coffee-Shop, die allermeisten davon sind allerdings mehr bemüht als gut. Das Café CK in Prenzlauer Berg ist eine großartige Ausnahme: Heimcafé von Cory Andreen, dem Cup-Tasting-Meister 2012, wird hier unter anderem Kaffee der norwegischen Röster Solberg&Hansen gebrüht.

Foto: Tobias Müller

Wenn der richtige Barista an der Gießkanne steht, dann kommt dabei ganz erstaunliches dabei heraus: der kenianische Rukira war einer der besten Kaffees meines Lebens. Achtung: Vormittags hat leider meist die Belegschaft mit weniger Talent Schicht, deswegen unbedingt erst nach dem Mittagessen kommen.

http://cafeckberlin.com

Bibliotheca Culinaria

Sie suchen ein Rezept für gebackenes Robbenfilet oder Elephantensuppe? Sie wollen wissen, wie die deutsche Hausfrau in den afrikanischen Kolonien gekocht hat, wie vegetarische Kochbücher um 1900 ausgesehen haben oder einfach nur in georgischen Rezeptesammlungen stöbern? In der Bibliothek Culinaria werden Sie fündig.

Foto: Tobias Müller

Über viele Jahrzehnte hinweg hat man hier eine Sammlung an alten Kochbüchern zusammengetragen, wie ich sie vorher noch nie gesehen habe - und man kann sie nicht nur anschauen, sondern auch gleich kaufen. Kochbuchsammler können hier Tage verbringen. Vielleicht das Tollste, was Berlin kulinarisch zu bieten hat. Wer während des Stöberns hungrig wird: Die Yumcha Heroes sind gleich um die Ecke.

http://www.bibliotheca-culinaria.de/index.php/en/

(Tobias Müller, derStandard.at, 3.8.2014)