Bild nicht mehr verfügbar.

Sophie Koch als jugendlicher Liebhaber Octavian (links), Krassimira Stoyanova ist die von ihm verehrte Marschallin.

Foto: EPA/BARBARA GINDL

Bild nicht mehr verfügbar.

Harry Kupfer hat den "Rosenkavalier" für die Salzburger Festspiele inszeniert.

Foto: dpa/Matthias Hiekel

STANDARD: Wissen Sie, wie viele Opern Sie schon inszeniert haben?

Harry Kupfer: Mehr als 200 - und ich habe nicht das Gefühl, dass mir die Ideen ausgehen (lacht).

STANDARD: Greifen Sie, wenn Sie etwas mehrmals inszenieren, auf bereits erarbeitetes Vokabular zurück?

Kupfer: Manchmal, wenn ich das Gefühl habe, etwas mit Gültigkeit gefunden zu haben. Aber ich möchte, wenn ich etwas noch einmal inszenieren darf, es wieder neu und offen angehen. Meist bleibt, wenn die Premiere vorbei ist, nur der grobe Eindruck, Details sind vergessen.

STANDARD: Haben Sie nie Angst, dass Ihnen etwas misslingen könnte?

Kupfer: Immer! Ich habe Angst vor der ersten Chorprobe, vor der ersten Begegnung mit den Sängern habe ich schlaflose Nächte, erst wenn ich alle kenne, werde ich ruhiger. Aber die Nervosität vor Generalproben und Premieren verliert sich nie.

STANDARD: Jetzt herrschte in der Generalprobe großer Jubel. Nehmen Sie diese Begeisterung und positiven Reaktionen mit in die Premiere?

Kupfer: Vor allem die Sänger ist das wichtig, sie bekommen für die Premiere einen Auftrieb - und die Bestätigung, dass das, was sie tun, die richtige Schiene ist. Ich achte nur auf die Reaktion des Publikums während der Vorstellung. Und wenn man, so wie bei der Generalprobe, eine Stecknadel fallen hätte hören können, dann weiß man, dass man was richtig gemacht hat.

STANDARD: Stimmt es, dass Sie jede kleinste Handbewegung notieren, ehe Sie mit den Proben beginnen?

Kupfer: Das stimmt. Ich bin so vorbereitet, dass ich ein Stück von hinten inszenieren kann, und es geht auf, weil ich Takt für Takt genau überlege, was passieren muss - natürlich aus der Analyse der Musik im Verhältnis zum Text. Es ist für mich der Prozess, um das Stück zu lernen. Erst wenn ich weiß, dass ich im Buch eine Lösung habe, kann ich mit den Sängern frei arbeiten und offen sein für das, was von ihnen kommt.

STANDARD: Gehen Sie bei Inszenierungen von der Musik oder vom Stoff aus?

Kupfer: Es ist immer die Musik, sie interpretiert den Text. Bei allen großen Komponisten ist das, was sie denken, fühlen, empfinden, in der Partitur niedergelegt. Strauss hat ja fast jede Geste komponiert, man weiß, wie es sein muss - vorausgesetzt, man hat die Musik analysiert und durchschaut.

STANDARD: Wie lange arbeiten Sie an einer Operninszenierung?

Kupfer: Am Rosenkavalier fast zwei Jahre. Die große Herausforderung war die Riesenbühne für ein Kammerspiel. Mit dem Bühnenbildner haben wir lange hin und her überlegt, wie man Intimität auf der großen Bühne des Festspielhauses schafft, bis wir draufgekommen sind: Gerade die große Bühne ist gut geeignet, weil sie Einsamkeit schafft - und das ist für das Stück ja sehr wichtig.

STANDARD: Es erstaunt, dass Sie, der vielen als Opernregie-König gilt und der so viel inszeniert hat, immer noch so lange an einer Oper arbeiten.

Kupfer: Ich muss die Oper immer wieder lesen und hören - wobei "hören" zweifelhaft ist, weil das schon wieder eine Interpretation ist. Aber wenn man mit der Partitur oder dem Klavierauszug arbeitet, entdeckt man immer wieder neue Zusammenhänge - und Widersprüche, die ja für die Dramatik eines Werkes ungeheuer wichtig sind. Nachdem ich ein Stück das erste Mal richtig durchgearbeitet habe, lasse ich es gern ein paar Wochen oder sogar Monate liegen. Wenn ich es mir dann wieder vornehme, entdecke ich wieder neue Aspekte. Am liebsten habe ich drei Stücke parallel in Arbeit: eines, das ich gerade inszeniere, eines, dessen Vorbereitung schon weit fortgeschritten ist, und ein drittes, bei dem ich mit dem Studium beginne.

STANDARD: Welche Stücke bereiten Sie nun parallel zum "Rosenkavalier" vor?

Kupfer: Eine Parsifal-Neuinszenierung in Tokio; eine Übernahme der Meistersinger von Zürich nach Helsinki; und dann etwas völlig Neues in Frankfurt: Michael Glinkas Ivan Susanin, Das Leben für den Zaren. Da beginne ich bereits jetzt, obwohl es erst im übernächsten Jahr stattfinden wird. Aber ich brauche eben so lange, dass es in meiner Fantasie reift.

STANDARD: Was für ein Stück ist "Der Rosenkavalier": romantische Komödie, Sittenbild einer Zeit?

Kupfer: Es ist eine herrliche, großartige, geniale Komödie! Das Stück hat alles, das Tragische, das Komische, die Vielschichtigkeit menschlicher Charaktere, Gedanken über Leben, Tod, Alter, die jedem Menschen immanent sind, auch wenn er es vielleicht nicht zugibt. Die Oper entstand am Ende der k. u. k Monarchie, als der Vielvölkerstaat am Auseinanderbrechen war. Das spürte Hofmannsthal sicherlich mit gewissem Bedauern - und das erklärt das Nostalgische in diesem Stück. Gleichzeitig verschwieg er nicht, dass sich die Zeit ändern muss, und legte dies in seinen Charakteren dar: Die Marschallin, noch aus der alten Zeit kommend, konnte sich gegen ihre Zwangsverheiratung nicht wehren, Sophie, aus dem Bürgerlichen stammend, tut dies vehement. In den Generationen künden sich die Zeitwenden an. Auch Strauss stand eher auf der Seite der älteren Zeit, stieß aber die Türen zu neuen Zeiten auf. Der Rosenkavalier wird oft als Zuckergussmusik diffamiert. Aber die Partitur ist von großer Kühnheit - im Rahmen einer Komödie, die genau zwischen der alten und dem Anbruch der neuen Zeit steht.

STANDARD: Sie selbst haben ebenfalls eine extreme Zeitwende, den Fall der Berliner Mauer 1989, miterlebt. Wie war das für Sie als jemand, der schon zu DDR-Zeiten als einer der wenigen im Westen arbeiten durfte?

Kupfer: Durch meine Reisen war das für mich keine Überraschung. Ich habe mich gefreut, dass es unblutig über die Runden ging, war aber erschrocken, wie schnell und überstürzt gewisse Dinge passierten. Man hat einen Lebensbereich - die DDR - in den westlichen Lebensbereich überführt, mit dem die DDR nichts anzufangen wusste; man hat sie letztendlich zum Teil betrogen und ausgebeutet. Diese Widersprüche habe ich natürlich sehr schmerzlich erlebt. Es wäre wahrscheinlich genauso gut oder sogar besser gegangen, hätte man alles ein bisschen langsamer, mit mehr Vernunft, dafür weniger Eitelkeit und Machtgier gemacht. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl versprach, dass blühende Landschaften kommen würden. Stattdessen kam Ödnis. Erst jetzt gleicht sich das langsam aus, wendet es sich zum Besseren.

STANDARD: Die Marschallin singt wehmütig von der in uns und um uns fließenden Zeit, während wir im Innersten immer dieselben blieben. Beunruhigt Sie das auch?

Kuper: Nein, darüber mache ich mir keine Gedanken, es spielt für mich keine Rolle. Solange mein Körper und mein Verstand funktionieren und ich eine dreistündige Chorprobe aushalte, ohne mich hinzusetzen, so lange ist es gut, so lange fühle ich mich wie ein Student. Ich schaue nie im Pass nach, wann ich geboren bin. Für mich stellt sich nur die Frage, ob ich gesund bin, Kraft und Fantasie habe. Alles andere kommt sowieso von allein, man kann es sich nicht aussuchen. Und irgendwann, wenn man merkt, es geht nicht mehr, muss man so vernünftig sein wie die Marschallin im Rosenkavalier. Und aufhören. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 1.8.2014)