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Harun Farocki 2010 vor der Projektion seines Films "Immersions" im Kunsthaus Bregenz.

Foto: EPA/REGINA KUEHNE

Berlin – Ein junger Mann sitzt an einem Tisch. „Wie können wir Ihnen Napalm im Einsatz und wie können wir Ihnen Napalmverletzungen zeigen?“, fragt er, während er in die Kamera blickt. „Wenn wir Ihnen ein Bild von Napalmverletzungen zeigen, werden Sie die Augen verschließen“, fährt er fort. Er räsoniert weiter; sein rechter Arm greift nach etwas außerhalb des Bildrandes. „Wir können Ihnen nur eine schwache Vorstellung davon geben, wie Napalm wirkt“, sagt er resigniert. Als seine Hand wieder im Bild ist, hält sie eine Zigarette. Die drückt er auf seinem Unterarm aus. „Eine Zigarette verbrennt bei etwa 400 Grad.“ Er bewegt die Hand, sodass die Brandwunde sichtbar wird. „Napalm verbrennt mit etwa 3.000 Grad.“

Der junge Mann im Bild ist Harun Farocki, und der Film, "Nicht löschbares Feuer", eine 25-minütige Arbeit, sein zweiter nach "Die Worte des Vorsitzenden" (1967). Gedreht hat er "Nicht löschbares Feuer" 1968; er versucht darin, die Zuschauer in die Lage zu versetzen, sich eine Vorstellung vom Vietnamkrieg und davon zu machen, wie die eigene Existenz damit zusammenhängen könnte. Es ist eine Methode, die charakteristisch für Farockis reiches filmessayistisches Werk werden soll: Der Filmemacher weiß, dass schlichtes Abbilden nicht ausreicht, ja, in die Irre führt, wenn man eine Vorstellung und einen Begriff von etwas entwickeln möchte. Er beschreibt deshalb eine doppelte Bewegung: Er reflektiert die Probleme der Veranschaulichung und versucht zugleich, Systeme, Abläufe und Funktionsweisen anschaulich zu machen.

Das können zum Beispiel die Verhandlungsstrategien von Bankern sein ("Nicht ohne Risiko", 2004), die Geschichte von Stahlwerken und deren Anteil am Zweiten Weltkrieg ("Zwischen zwei Kriegen", 1978) oder die Revolution in Rumänien ("Videogramme einer Revolution", 1992).

Filmkritik und Kunstbetrieb

Farocki gehörte 1966 zum ersten Jahrgang von Studenten, die sich an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) einschrieben. Im November 1968 wurde er wegen unerwünschter politischer Aktivitäten relegiert, außer ihm traf diese Strafmaßnahme auch Holger Meins, Hartmut Bitomsky, Gerd Conradt und andere. Um Geld zu verdienen, arbeitete er für die Kindersendung "Sesamstraße" oder drehte er Lehrfilme. Ab 1973 war er Redakteur bei der Filmzeitschrift "Filmkritik"; ab Ende der 70er-Jahre war es ihm möglich, kontinuierlich Filme zu drehen.

Doch je weniger Raum Kino und Fernsehen für essayistische Filmarbeit ließen, umso häufiger wich er in den Kunstbetrieb aus. Bei Filmfestivals wie der Duisburger Filmwoche war er zwar noch Stammgast (und immer für eine kleine Polemik zu haben), doch wurden seine Filme zuletzt oft in Galerien und Museen wie dem New Yorker Moma präsentiert; oder sie entwickelten sich gleich zur Videoinstallation, wie etwa die auf zwölf Bildschirmen präsentierte Arbeit Deep Play, die Szenen des WM-Endspiels zwischen Frankreich und Italien 2006 wiederholte. Sie wurde 2007 auf der Documenta 12 in Kassel gezeigt. Von 2004 bis 2011 unterrichtete Farocki auch Regie an der Wiener Akademie der Künste.

Am Mittwoch ist Harun Farocki überraschend im Alter von 70 Jahren gestorben. Eben noch hatte er seine Frau, die Künstlerin Antje Ehmann, nach Salzburg begleitet, wo sie im Kunstverein an der Gruppenausstellung Punctum teilnahm. Drei seiner Arbeiten werden gegenwärtig auch im Salzburger Museum der Moderne gezeigt. Ein Spielfilm, an dem er mitgearbeitet hat, Phoenix von Christian Petzold, wird im September beim Filmfestival in Toronto seine Weltpremiere feiern.

Der Tod hat Farocki aus großer Produktivität gerissen; er erschüttert deshalb umso mehr. (Cristina Nord, DER STANDARD, 1.8.2014)