Brüssel - Die niedrigste Teuerungsrate in der Euro-Zone seit fast fünf Jahren nährt die Furcht vor einer Deflation. Die Preise in der Währungsunion stiegen im Juli zum Vorjahresmonat nur noch um 0,4 Prozent, wie das europäische Statistikamt Eurostat am Donnerstag mitteilte. Dies ist der niedrigste Wert seit Oktober 2009, als die Preise während der internationalen Finanzkrise sogar gesunken waren. Die Inflation ist nunmehr weitaus niedriger, als der EZB lieb sein kann. Dies dürfte am kommenden Donnerstag für reichlich Diskussionen auf der Ratssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) sorgen, die erst im Juni die Zinsen gesenkt hatte. Eine deflationäre Spirale aus fallenden Preisen und sinkenden Löhnen gilt als Gift für die Konjunktur, da sie Konsum und Investitionen auf Dauer hemmt.

Auch Experten zeigten sich von dem geringen Preisauftrieb überrascht, da sie eine Inflationsrate von 0,5 Prozent auf dem Zettel hatten. Die Inflation wurde insbesondere durch fallende Energiekosten gedämpft: Sie gaben um ein Prozent nach. Die Preise für Nahrungsmittel, Alkohol und Tabak sanken um 0,3 Prozent. Die Währungshüter streben eine Preissteigerung von knapp zwei Prozent an. Doch selbst in dem von einem Wirtschaftsboom erfassten Deutschland lag sie mit 0,8 Prozent zuletzt so niedrig wie seit Anfang 2010 nicht mehr.

Bundesbank und EZB haben sich zuletzt für kräftigere Lohnerhöhungen in Deutschland ausgesprochen, um Deflation vorzubeugen. Bundesbankchef Jens Weidmann hatte dafür einen Richtwert von drei Prozent genannt.

"Taktisches Manöver"

Ifo-Chef Hans-Werner Sinn hält das Vorgehen Weidmanns indes für ein "taktisches Manöver", wie er dem "Handelsblatt" sagte. Die Bundesbank fürchte, dass die Deflationsdebatte wieder aufflamme. Nach einer Prognose der Commerzbank dürfte sich die Lage an der Preisfront im Jahresverlauf aber wieder entspannen und die Inflationsrate allmählich in Richtung ein Prozent steigen. Daher sei es eher unwahrscheinlich, dass die EZB zur Abwehr deflationärer Tendenzen ein groß angelegtes Programm zum Aufkauf von Anleihen auflegen werde. Damit würde neues Geld geschaffen, das die Banken dann über Kredite in die Wirtschaft pumpen sollen. Damit könnte die EZB idealerweise die Konjunktur anschieben und die niedrige Teuerung nach oben treiben.

Die EZB hat bislang auf dieses Instrument im Gegensatz zu den Zentralbanken in den USA, Großbritannien und Japan verzichtet, hält es aber als Option bereit. Aus Sorge vor einer Deflation hat sie im Juni ihren Leitzins auf das Rekordtief von 0,15 Prozent gesenkt und Banken erstmals Strafzinsen aufgebrummt. (Reuters)