Stundenlang haben die Botschafter der 28 EU-Länder am Dienstag in einem abhörsicheren Raum in Brüssel an den letzten Details der neuen Sanktionen gegen Russland gefeilt. Die Stoßrichtung war klar: Die Zeiten des Klein-Klein sind vorbei. Die Strategie der Union, Moskau im Ukraine-Konflikt mit Einreiseverboten und Kontosperren gegen einzelne Russen unter Druck zu setzen, hat nichts gebracht.

Deswegen haben die EU-Diplomaten den Weg für echte Wirtschaftssanktionen geebnet. Die Maßnahmen sollen am Mittwoch beschlossen werden. Geplant ist, den Zugang russischer Banken zum Kapitalmarkt in der EU zu erschweren. Auch ein Ausfuhrstopp für Waffen und Hochtechnologieprodukte im Erdöl- und Erdgassektor soll kommen.

Die große Frage ist nun, wie viel die Strafmaßnahmen Russland und Europa kosten werden und ob die Sanktionen Moskau zum Einlenken bewegen können.

Die EU-Kommission geht in ihren Berechnungen davon aus, dass die Maßnahmen zu starken Wirtschaftseinbußen führen werden. Demnach sollen die Sanktionen die russische Wirtschaftsleistung (BIP) heuer um 23 Milliarden Euro dämpfen. Im kommenden Jahr würden sich die Einbußen auf 75 Milliarden Euro summieren. Das entspricht fünf Prozent der russischen Wirtschaftsleistung.

Für die EU bewegen sich die Einbußen beim BIP zwar in einer ähnlichen Größenordnung. Weil die Wirtschaftskraft der EU aber siebenmal größer als jene Russlands ist, sollten die Maßnahmen in Europa vergleichsweise weniger Schaden anrichten, spekuliert Brüssel.

Russlands Schaden

Allerdings darf Russlands Durchhaltevermögen nicht unterschätzt werden, sagen Experten. Beispiel Finanzsektor: Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, russischen Banken, die mehrheitlich in Staatsbesitz sind, den Zugang zu neuen Krediten in der EU zu verwehren. Die Idee: Die Zinsen für die Institute sollen steigen, darunter könnte die Kreditvergaben in Russland leiden.

Treffen soll diese Maßnahme vor allem Marktführer Sberbank und die VTB. An der Sberbank hält der russische Staat (über die Notenbank) 50 Prozent plus eine Aktie, an der VTB ist der Staat mit 60 Prozent beteiligt. Beide Banken leiten ihr Osteuropageschäfte von Wien aus - die Sberbank ist zudem Mehrheitseigentümer der ehemals türkischen Denizbank in Österreich, die in Österreich stets auf Einlagenfang aus war.

Doch die beiden Geldhäuser verfügen über hohe Reserven, sagt der Bankanalyst Michael Ballauf von der Raiffeisen Bank International. Allein mit ihren Cashreserven könnten VTB und Sberbank bis zum Jahresende auskommen. Zudem verfügt die russische Notenbank über hohe Fremdwährungsreserven (340 Milliarden Euro), mit denen sie im Notfall aushelfen könnte. Der russische Staat befüllt zudem seit 2004 zwei Staatsfonds mit den Steuereinnahmen aus dem Export von Öl und Gas. Die Fonds zählen zu den 15 größten Staatsfonds auf der Welt. "Moskau könnte im Ernstfall auf sie zurückgreifen", sagt der Ökonom Vasily Astrov vom Wiener Osteuropainstitut WIIW.

Zudem steht auch für Unternehmen aus Europa viel auf dem Spiel. Im Energiesektor geht die Kommission zwar davon aus, Russland mit dem Ausfuhrverbot von Hightech-Produkten hart zu treffen. Die Ölförderung in der russischen Arktis etwa - die soeben angelaufen ist - braucht Technik aus dem Westen, heißt es bei der Kommission in Brüssel.

Doch hier ist auch Europa verwundbar. Zwar glaubt niemand an Exporteinschränkungen beim russischen Öl und Gas. Zu wichtig sind für Moskau die Deviseneinnahmen. Allerdings gibt es viele Joint Ventures, die wackeln. Eines davon ist South Stream, das Gaspipeline-Projekt, an dem auch die OMV beteiligt ist. Die EU hält South Stream für unionsrechtswidrig, weil mit Gasprom ein Unternehmen sowohl für die Förderung als auch für den Transport von Gas verantwortlich ist. In Brüssel wurde eine Verhandlungsrunde eingesetzt, um doch noch grünes Licht geben zu können. Doch die Gespräche liegen wegen der Ukraine-Krise auf Eis. Die EU kritisiert zudem, dass South Stream die Abhängigkeit von Russland erhöht und deshalb nicht "zeitgemäß" ist. (András Szigetvari, DER STANDARD, 30.7.2014)