Brüssel/Prishtina - Sobald das Spezialgericht im Kosovo eingeführt ist, kann Anklage gegen einige ehemalige Führer der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK, die noch heute zu den mächtigsten Männern in dem jungen Staat zählen, erhoben werden. Die Anklage selbst ist quasi fertig. Der Chefankläger der speziellen Untersuchungs-Taskforce, Clint Williamson, gab am Dienstag in Brüssel die Ergebnisse von zweieinhalb Jahren Untersuchungen bekannt.

Demnach soll einer Gruppe von ehemaligen Führungsfiguren der UÇK wegen Tötungen, Entführungen, illegaler Gefangennahme in Lagern im Kosovo und in Albanien, sexueller Gewalt, Vertreibungen sowie Zerstörungen von Kirchen der Prozess gemacht werden. Opfer der verdächtigen Kosovo-Albaner waren nach dem Ende des Kriegs im Juni 1999 vorwiegend Serben und Roma, aber auch Albaner, die nicht "kooperierten". "Das hat zu ethnischen Säuberungen eines großen Teils der serbischen und Romabevölkerung in den Gebieten südlich des Ibar geführt", so Williamson.

Williamson sagte auch, es gebe Beweise, dass es sich nicht nur um Verbrechen von Individuen handle, sondern dass diese in einer "organisierten Art" durchgeführt und von der Führungsebene der UÇK "genehmigt" worden seien. Zudem sollen UÇK-Leute Mordaufträge erteilt haben, um Gegner in den eigenen Reihen auszuschalten, ihre Macht abzusichern oder sich zu bereichern. Was die Vorwürfe der Organentnahme bei Gefangenen und des Organhandels betrifft, so wurden bisher keine ausreichenden Beweise für eine Anklage gefunden. Williamson sprach von weniger als zehn Fällen. Williamson betonte immer wieder, wie schwierig es gewesen sei, Zeugen für die Verbrechen zu finden. Viele seien tot oder nicht aufzufinden. Er sprach von einem "Klima der Einschüchterung" gegen potenzielle Zeugen.

Heute an der Macht

Im Kosovo sind die ehemaligen UÇK-Führer heute an der Macht. Namen der Verdächtigen nannte Williamson aber keine.

Ende 2010 hat der Europarat-Berichterstatter Dick Marty in einem Bericht erstmals Vorwürfe gegen UÇK-Führer erhoben, daraufhin wurde die Taskforce eingesetzt. Sie ist zwar in die EU-Rechtsstaatsmission Eulex integriert, kann aber autonom arbeiten und hat ihren Sitz in Brüssel.

Für die Einrichtung des Sondergerichts fehlen noch Gesetzesänderungen im Kosovo, die aber zurzeit nicht durchgeführt werden können, weil über die Regierungsbildung gestritten wird. Das Jugoslawien-Tribunal kann die Verbrechen nicht untersuchen, weil sein Mandat nur für die Zeit des bewaffneten Konflikts gilt. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, 30.7.2014)