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Ein stimmiges Ganzes: "Die letzten Tage der Menschheit" in Salzburg.

Foto: APA/BARBARA GINDL

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Peter Matić, Alexandra Henkel und Elisabeth Orth (v. li.) (Bild von einer Probe).

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Salzburg - Eine Aufführung seiner Letzten Tage der Menschheit wollte Karl Kraus einem Marstheater vorbehalten wissen. Nichts verdeutlicht besser die Einsamkeit des Satirikers, der stimmschwach den Rufer im Wald gibt.

Stimmschwach ist auch das Alter Ego des Dichters auf der kaum ausgeleuchteten Bühne des Salzburger Landestheaters. "Der Nörgler" (Dietmar König) vergeht schier vor Unrast und Ungeduld. Der Kahlkopf ist mit der Gesellschaft eines fettig grinsenden "Optimisten" (Gregor Bloéb) gestraft. Seine pointierten Widerworte gegen den Krieg werden vom Lärm einer Blasmusikkapelle zugedeckt, die aus der Unterbühne ans Licht fährt (Postmusik Salzburg, Ausstattung: Volker Hintermeier).

Dem allgemeinen Sprachgebrauch macht Kraus (1874-1936) die Rohheit zum Vorwurf. Am Ersten Weltkrieg wurmt ihn die Umkehrung der Verhältnisse. Krieg ist die Fortsetzung des Geschäfts mit anderen, aufwändigen Mitteln. Er vernichtet nicht nur Menschenleben. Krieg annektiert die Kultur, indem er sie hochzuhalten vorgibt und zugleich mit Füßen tritt. Georg Schmiedleitners Festspiel-Inszenierung der Letzten Tage dauert nur rund dreieinhalb Stunden. Doch sie enthält eine ganze Liste von Mängeln. Die gravierendsten nehmen den Ersten Weltkrieg zum Ausgangspunkt, betreffen aber unser heutiges Gemeinwesen.

Die Salzburger Fassung bescheidet sich mit gut 50 (kurzen) Szenen aus dem Dramenwust. Man enthält sich jeder naheliegenden Bescheidwisserei. An der berühmten Sirk-Ecke lümmeln keine k. u. k. Karikaturen herum, sondern es stieben Spukgestalten über einen Laufsteg. Die Schatten könnten auch aus Kafkas Prozess stammen. Sie trinken Sekt oder bilden Hetzmeuten.

An Kraus fasziniert Schmiedleitner die Beobachtungsgabe: Wie entsteht Öffentlichkeit? Wodurch werden Menschen derart enthemmt, dass sie sich um Kopf und Kragen reden? Die beschämende Aufbahrung Franz Ferdinands "dritter Klasse" nach der Katastrophe von Sarajevo bildet den Auftakt. Die Lemuren sind vollzählig zur Verhöhnung des Toten angetreten. Ein dicker Hofrat (Christoph Krutzler) witzelt ins unsichtbare Telefon. Am Sarg des Thronfolgers schlüpft er in die Rolle der trauernden Witwe: "Mir bleibt doch nix erspart!"

Blut- und Eroberungsprosa

Als Funeralreporterin hat Alice Schalek (Dörte Lyssewski) ihren ersten kolossalen Auftritt. Wie eine Totengöttin schreitet Kraus' geschworene Feindin durch das Hinterland. Mit rotweinschwerer Stimme deklamiert sie im grauen Rock der Entsagung ihre Frontberichte. Sie hantiert - später einmal - mit einer Schriftrolle voller Blut- und Eroberungsprosa wie mit einem Priesterinnengewand.

Kakanien ist ein Hinterland, in dem die Sonne der Vernunft nie aufgeht. Burgtheatersprecher wie Peter Matic verstehen es meisterhaft, die Spottgeburten aus Papier und Dreck, die Kraus nicht ersonnen, sondern lediglich zitiert hat, zum Leben zu erwecken. Sein Kaiser Franz Joseph übersteht auf dem Leichenwagen noch das eigene Ableben. Er rutscht als Mumie seiner selbst, vom Akkordeon begleitet, das Portal hinunter. Wie überhaupt die Karikaturen ein zähes, widersetzliches Eigenleben behaupten, bis an die Zähne mit Sprache bewaffnet, die nie nur als lokales Idiom zu verstehen ist.

Elisabeth Orth gibt eine steingraue Figur des Schreckens, die als Conrad von Hötzendorf die Landkarte Italiens in den Schmutz tritt, die als Lehrer Zehetbauer ("Der Fremdenverkehr!") die jüdischen Schüler von einst mit dem Gehstock fuchtelnd bedroht. Krutzler wiederum imponiert als Viktualienhändler Chramosta, der das übermächtige Qualtinger-Vorbild subversiv umgeht, indem er sich ganz schrecklich kleinmacht.

Hundert kleinere Einfälle hat Schmiedleitner zu einem stimmigen Ganzen verbunden. Das Ensemble (Stefanie Dvorak, Bernd Birkhahn, Petra Morzé) spielt um sein Leben. Kraus' Sprache dröhnt in den Ohren. Das Schlusswort spricht leise, freundlich der Optimist.

Bloéb ist in eine feldgraue Uniform mit Eisernem Kreuz geschlüpft. Mit posthumanem Grinsen rühmt er sich leise der entsetzlichsten Gräuel. Doch vor der Übermacht des Ungeistes musste ja bereits Karl Kraus kapitulieren.

Georg Schmiedleitner hat als "Einspringer" für Matthias Hartmann den Stier beherzt bei den Hörnern gepackt. Er und sein Team, das im September an die koproduzierende Burg übersiedelt, wurde zu Recht akklamiert. Niemand wird die Letzten Tage zur Gänze ausschöpfen. Aber zu zeigen, dass die letzten Tage noch immer (und lange) andauern und somit bestenfalls die vorletzten sind: Das verstand Schmiedleitner glänzend. Da behielt auch der Rufer unrecht, der lauthals bat, der "heilige Qualtinger" möge - möglichst verdrossen - herabschauen. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 30.7.2014)