Traumatisierter Polizist und schwarze Witwe: Liao Fan und Gwei Lun Mei in Diao Yinans stilsicherem Kriminalpuzzlespiel "Feuerwerk am helllichten Tage".

Foto: Filmladen

Wien - Viel weniger festlich als in dieser Szene hat der Donauwalzer noch selten geklungen. Der Dreivierteltakt gibt den Besuchern eines kleinen Eislaufplatzes in einer nördlichen chinesischen Industrieprovinz den Rhythmus vor. Der ehemalige Polizist Zhang (Liao Fan), ein Anfänger auf dem Glatteis, ist dort im trüben Licht Wu Zhizhen (Gwei Lun Mei) auf den Fersen. Die Frau entfernt sich mit ungerührtem Gesichtsausdruck immer weiter vom Geschehen, er stolpert ihr hinterher, und am Ende, als sie schon am Boden liegt, wälzt er sich auf sie, um sie zu küssen.

Ein charakteristischer Moment in Black Coal, Thin Ice (Feuerwerk am helllichten Tage), dem dritten Spielfilm des Chinesen Diao Yinan, mit dem er 2014 den Goldenen Bären auf der Berlinale gewonnen hat: Diao spielt mit Unwägbarkeiten, überraschenden erzählerischen Manövern, in denen sich die Gefühlslagen der Figuren weiter verkomplizieren. Der Hobbydetektiv, der die schwarze Witwe Wu Zhizhen eigentlich beschattet, vergisst bald auf professionelle Distanz. Sie lässt ihn, einen Augenblick lang, gewähren.

Der Hintergrund der Geschichte liegt fünf Jahre zurück in der Vergangenheit, 1999, als Zhang noch im Dienst der Polizei stand. Damals wurden zerstückelte Leichenteile auf einem Kohledepot gefunden - es soll sich um den Mann von Wu Zhizhen, Arbeiter in der lokalen Fabrik, gehandelt haben. Allerdings blieben einige Fragen in diesem Fall offen, und nun gibt es einen neuen Toten, wiederum aus dem Umfeld der stillen Frau aus der Wäscherei.

Feuerwerk am helllichten Tage wurde nach seiner Premiere vielerorts als Neo-Noir bezeichnet, ein moderner Nachfolger jener fatalistischen Krimis und Dramen im US-Kino der 1940er-Jahre, in denen auch die Krisenhaftigkeit der Gesellschaft nachwirkte. Tatsächlich finden sich etliche Symptome dieses Subgenres auch hier: der einzelgängerische und ob seiner verlotterten Existenz unverlässliche Held, eine Femme fatale, die auf ihrem Fahrrad wie ein Geist aussieht. Darüber hinaus durchweht den Film eine Sensibilität, welche die krude Mordserie mehr als Gegenwartsbefund verstehen lässt. Schließlich geht man in diesem Teil der Welt mit Gewalt generell nicht zögerlich um.

Die Verknüpfung von Individuellem und Gesellschaftlichem hat Diao Yinan schon in Night Train (2007) gesucht, der von einer Frau erzählte, die im Todestrakt eines Gefängnisses arbeitet und über eine Partnervermittlung einen Ehemann sucht. Feuerwerk am helllichten Tage ist trotz seines hintergründigen Thrillerplots keineswegs übermäßig aktionsorientiert, ein Zugang, der den Film einen größeren Radius ziehen lässt. So lakonisch und indirekt der Regisseur die Erzählung auffächert, so stilistisch akzentuiert erscheinen die jeweiligen Bilder: Oft sind sie in neonfarbenes Licht getaucht, in dem für Figuren allerdings ganz reale Gefahren lauern können.

Die umsichtig ausgewählten Schauplätze der insgesamt noch wenig von der Globalisierung gezeichneten Arbeiterstadt sind ein weiteres wichtiges atmosphärisches Puzzlestück. Zhang wirkt mit seiner Fliegerkappe und dem klapprigen Motorrad wie ein todessehnsüchtiger Bruchpilot, der sich dem Reiz der mysteriösen Wäscherin nicht entziehen kann. Doch Leidenschaft kommt in den eisigen Bildern von Diao Yinan keine auf. Die Kälte hat die Figuren fest im Griff.

Ohne Eindeutigkeiten

Besonders gut versteht sich Feuerwerk am helllichten Tage darauf, eindeutigen Lesarten aus dem Weg zu gehen. Das mag einerseits der Zensur im eigenen Land geschuldet sein, die erfinderisch im Andeuten macht. Es dürfte aber auch eine Vorliebe Diao Yinans sein, die Dinge nicht zu offensichtlich zu machen. Er bevorzugt kleinere Lücken im Erzählen, die vom Zuseher einige Aufmerksamkeit verlangen - und der einzelne Teil, ein Detail, steht hier wiederholt für das Ganze. Die Wendigkeit, die er in Stimmungswechseln zeigt, mitunter auch in den komischen Bereich hinein, ist eine der Stärken des Films.

Davon zeugt auch der schöne Schluss des Films, auf den sich der deutsche Verleihtitel bezieht. Der Fall ist gelöst und irgendwie auch nicht. Das Feuerwerk wird zum stärksten Zeichen der Ambivalenz, das - ähnlich wie der Donauwalzer - seine feierliche Dimension einbüßt und trotzdem viel Eindruck macht. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 30.7.2014)