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Zhou bei der Parteikongress-Eröffnung im Jahr 2007. Gegen ihn wird nun wegen Korruptionsvorwürfen ermittelt.

Foto: Reuters/Lee

Chinas höchste Parteiführung will erstmals einem der ihren den Prozess machen: dem früheren Oberaufseher der Partei über Polizei und Justiz, Zhou Yongkang. Dieser war bis 2012 einer der meistgefürchteten Funktionäre der Volksrepublik. Nach fast sieben Monaten Versteckspiel um den Fall Zhou, parteiinternem Tauziehen und Festnahmen von Vertrauten seiner Seilschaft gab Peking die offizielle Aufnahme von Ermittlungen gegen den 71-Jährigen bekannt. Sie würden auf Beschluss des Zentralkomitees zuerst parteiintern geführt.

Zhou war als Mitglied des Politbüroausschusses einer der neun mächtigsten Männer Chinas. Er habe "schwerwiegend gegen die Parteidisziplin" verstoßen", hieß es im Staatsfernsehen - eine Umschreibung für ihm zu Last gelegter Korruption. Es ist das erste Mal seit der Verhaftung der "Viererbande" um Maos Witwe Jiang Qing und dem Beginn von Chinas 30-jähriger Reformzeit, dass ein derart hochrangiger Funktionär auf die Anklagebank kommt.

"Tiger" zur Strecke gebracht

Parteichef Xi Jinping, der am Wochenende von seiner Lateinamerikareise nach Peking zurückkehrte, ließ die Nachricht auf einer Politbürositzung verkünden. Er gab dort die Einberufung des nächsten ZK-Plenums für Oktober bekannt, wo die Partei den Rahmen von Recht und Justiz für ihre sozialistische Marktwirtschaft festlegen will.

Xi hat mit dem Polizeizaren Zhou nach der einst spektakulären Verhaftung des Chongqinger Parteichefs und Politbüromitglieds Bo Xilai einen noch gefährlicheren "Tiger" zur Strecke gebracht, kommentierten Blogger am Dienstagabend. Der bildhafte Ausdruck geht auf Parolen des seit November 2012 amtierenden Xi zurück. Er versprach die Korruption in den Reihen der Partei ohne Rücksicht auf Rang und Position der Betroffenen zu bekämpfen - und "nicht nur gegen Fliegen, sondern auch gegen Tiger" vorzugehen. Xi hat sich seither mit mehr als 480 Festnahmen hoher Funktionäre einen Namen als Chinas"starker Mann" gemacht.

"Weichgekochte Nudel"

Im Internet löste die Nachricht des "Jahrhundertkorruptionsskandals" Zustimmung, aber auch Hohn über die im innerparteilichen Machtkampf doch längst "weichgekochte Nudel" aus. Nudel ist der Spitzname von Zhou, eine Anspielung auf seinen Vornamen. Blogger spotteten auch über das Datum der Bekanntgabe, weil sie auf den 29. Juli fiel, dem internationalen Tag zum Schutz des Tigers. "Bei uns fängt man Raubtiere an einem solchen Tag."

Zhou verbreitete einst Angst und Schrecken als Polizeizar unter der Vorgängerregierung Hu Jintao. Nach langer Karriere war er ins das Zentrum der Macht aufgerückt, wo er 2003 bis 2007 zuerst Minister für öffentliche Sicherheit und von 2007 bis 2012 dann Mitglied des Politbüroausschusses wurde. Alle bisher bekanntgewordenen Korruptionsfälle, die ihm Peking vermutlich anlasten wird, beziehen sich auf seine Tätigkeiten vor 2003, als er die Ölindustrie (1985 bis 1988) und den nationalen Ölkonzern CNPC (1988 bis 1998) leitete.

Seilschaften

Zum letzten Mal wurde Zhou im Oktober 2013 öffentlich gesehen. Da war sein Sturz längst besiegelt. Das "offene Geheimnis" sprach sich herum, während Xi die einstigen Seilschaften Zhous aufsprengen ließ. Fast täglich wurden hochrangige Funktionäre und ehemalige Sekretäre festgenommen, schließlich auch sein Sohn Zhou Bin und weitere Familienangehörige.

Hinter der Abrechnung verbirgt sich offenbar auch ein Machtkampf. Zhou soll mit dem zu lebenslanger Haft verurteilten Bo Xilai gekungelt haben. Beim wirtschaftlichen "System Zhou" ging es um Milliarden, die Chinas Monopolkonzerne mit Öl machten. Am Ende kontrollierte Zhou über seine Seilschaften die Schaltstellen für Öl, Energie, Bodenressourcen, auch die Polizeigewalt.

Zhous Sturz ist in der 30-jährigen Reformzeit der Volksrepublik einzigartig. Bisher galt die Kaste der Inneren Führung als unberührbar. Als Parteiaufseher über den Polizeiapparat führte er eine Politik der "politischen und sozialen Stabilität um jeden Preis" durch. Dabei organisierte er auch die Verfolgung politischer Dissidenten und Andersdenkender. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 30.7.2014)