Bild nicht mehr verfügbar.

Der Streit um den Semmeringbasistunnel geht weiter. Grabungsarbeiten reißen Verspätung auf.

Foto: APA/Hochmuth

Wien - Ob der am 16. Juni erlassene neue Bescheid des Verkehrsministeriums zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) samt eisenbahnbaurechtlicher Genehmigung des Semmering-Basistunnels beim neuen Bundesverwaltungsgericht landet oder nicht: Ärger ist Verkehrsministerin Doris Bures (SPÖ) sicher. Der Wiener Rechtsanwalt Andreas Manak wird heute, Montag, bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft Anzeige wegen Verdachts auf Amtsmissbrauch gegen Bures und einen Spitzenbeamten ihres Ministeriums einbringen.

"Auch der neue Bescheid missachtet grundlegende Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der maßgeblichen materiellen und verfahrensrechtlichen Vorschriften", heißt es in dem Schriftsatz, der dem Standard vorliegt.

Elfseitige Anzeige

Auf elf Seiten spart der auf Verwaltungs- und Wirtschaftsrecht spezialisierte Jurist nicht mit Kritik am neuen UVP-Bescheid, mit dem die Aufhebung des ersten UVP-Bescheids vom 19. Dezember 2013 durch den Verwaltungsgerichtshof repariert werden soll.

Das Problem aus Sicht des Anwalts, der Wert auf die Feststellung legt, er erstatte die Sachverhaltsdarstellung wohl in eigenem Namen, aber "im Auftrag besorgter Bürger, die nicht genannt werden wollen, weil sie aufgrund der finanziellen und medialen Übermacht der ÖBB und des Verkehrsministeriums diverse Repressalien für sich und ihre Familien befürchten": Der gesamtwirtschaftliche Nutzen des inzwischen auf 3,4 Milliarden Euro taxierten neuen Semmering-Basistunnels (SBT) sei nie nachgewiesen worden, und die den Planungen zugrunde liegenden Verkehrsprognosen seien überholt oder falsch. Außerdem sei das eisenbahnrechtliche §31a-Gutachten, bei dem ein externer Gutachter die Richtigkeit sämtlicher Angaben und Expertisen des Bauwerbers, also des ÖBB-Teilkonzerns ÖBB-Infrastruktur beurteilt, vom Ministerium nie überprüft worden.

Letzteres hat der Verfassungsgerichtshof allerdings erst im Oktober klar gestellt: Die Eisenbahnbehörde im Verkehrsministerium darf die von der ÖBB vorgelegten Expertisen nicht gutgläubig übernehmen und von deren Gutachtern überprüfen lassen, sondern sie muss selbst Richtigkeit und Plausibilität testen - oder von Amtssachverständigen prüfen lassen. Schlüssigkeit und innerer Wahrheitsgehalt seien nicht nachvollziehbar, sagt Anwalt Manak. Im Gegenteil, das Ministerium habe den neuen Bescheid am 16. Juni erlassen, obwohl vier Wochen davor (von Verfahrensparteien wie Alliance For Nature) gutachterliche Stellungnahmen zu Verkehrswesen (Knoflacher) und Volkswirtschaftlichem Nutzen (Vieregg-Rössler) - der Standard berichtete - eingebracht wurden. Die neuen, diametral entgegengesetzten Argumente seien weder gewürdigt worden, noch durch neue Erkenntnisse widerlegt worden.

"Astronomische" Angaben

Die Entwicklung des Güterverkehrsaufkommens etwa sei 2014 real gleich hoch wie 1999, aber die von Projektwerber und Ministerium angegebenen Steigerungen seien mit 57 Prozent bis 2025 und 155 Prozent bis 2055 (bezogen auf Stand 2008) "astronomisch".

Auch habe es die Behörde unterlassen, die für den ersten UVP-Bescheid eingeholten Expertisen aktualisieren zu lassen (manche sind fast zehn Jahre alt) sowie deren Autoren mit den gegenteiligen Meinungen der neu eingebrachten Gutachten zu konfrontieren, moniert Manak. "Indem die Verdächtigen einen eisenbahnrechtlichen Bewilligungsbescheid erlassen haben, ohne das §31a-Gutachten inhaltlich zu prüfen, haben sie wissentlich ihre Befugnisse zugunsten der ÖBB missbraucht", heißt es in der Anzeige wörtlich.

Einmal mehr stellt der Einschreiter den gesamtwirtschaftlichen Nutzen infrage. Wohl enthält der neue UVP-Bescheid dazu keine Aussage (obwohl die ÖBB zahlreiche Studien in Auftrag gegeben hat), die Behörde beruft sich stattdessen auf eine Verordnung der Bundesregierung im Jahr 1989 und die Aufnahme der Strecke Gloggnitz-Mürzzuschlag (Semmeringbasistunnel) in die Baltisch-Adriatische Achse des Transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN). TEN-Achsen bestehen freilich nicht aus einzelnen Strecken, sondern aus Korridoren, in denen Bahn-, Straßen- und Schiffsverkehr stattfindet. Die Baltisch-Adriatische Achse könnte ebenso gut über Ungarn nach Triest führen statt über Südbahn und Semmering.

Ein Sprecher Bures' will zur Anzeige nichts sagen, nur so viel: "Weder die Ministerin noch das Ministerium kennen die angesprochene Sachverhaltsdarstellung, deshalb kann das bmvit dazu nicht Stellung nehmen. Wir gehen aber selbstverständlich davon aus, dass das Verfahren ordungsgemäß und vollkommen gesetzeskonform abgewickelt wurde." (Luise Ungerboeck, DER STANDARD, 28.7.2014)