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Gruben ausheben, Rodungen und Bohrungen im Sondierstollen sind am und im Semmeringgebiet erlaubt. Da auch wasser- und naturschutzrechtliche Bescheide ausständig sind, geht sonst nicht viel weiter im Prestigeprojekt des Verkehrsministeriums.

Foto: APA/Robert Jäger

Wien - Am Dienstag läuft die Einspruchsfrist gegen den neuen, im März 2014 erlassenen Bescheid für die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) samt eisenbahnrechtlicher Baubewilligung des Semmeringbasistunnels ab. Es zeichnet sich ab, dass - wie beim ersten Anlauf zur UVP im Jahr 2010, der im Dezember 2013 vom Verwaltungsgerichtshof (VwGH) aufgehoben wurde - Anfechtungen eingebracht werden.

Ein Blick in die im Edikt des Verkehrsministeriums enthaltenen Gutachten und Berechnungen lohnt: Auf tausenden Seiten wird das "öffentliche Interesse" legitimiert, das das Verkehrsministerium beim Bau im Namen der Steuerzahler beschwört.

Dabei offenbaren sich zahlreiche Widersprüche. Die zugrunde gelegten Güterverkehrszahlen und -prognosen für die Zeit nach Eröffnung der Tunnelröhren zwischen Gloggnitz und Mürzzuschlag im Jahr 2025 etwa sind nicht wirklich aktuell. Sie stammen aus dem Jahr 2005, waren beim ersten Bescheid also bereits fünf Jahre alt, und wurden in den vergangenen zehn Jahren widerlegt. Die vorausgesagten Tonnagesteigerungen sind nie eingetroffen. Letzteres auch wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 bis 2011, aber nicht nur. Denn 2013 hat der alpenquerende Güterverkehr über so gut wie alle Gebirgspässe in Europa (Schweiz, Frankreich, Österreich) stagniert, und der Semmering gehörte mit seinen 2013 auf der Ghega-Strecke transportierten 11,9 Mio. Nettotonnen ohnehin nie zu den transitstarken Gebirgspässen. Ein mit 28,57 Millionen Tonnen um 177 Prozent höheres Verkehrsaufkommen im Jahr 2055 scheint "fachlich völlig unbegründet", attestieren die deutschen Verkehrsplaner Vieregg-Rössler.

Eingang in den neuen UVP-Bescheid fanden Erkenntnisse wie diese ebenso wenig wie das verkehrswirtschaftliche Gutachten des emeritierten TU-Professors Hermann Knoflacher. Im Gegenteil. Der für das eisenbahnrechtliche Genehmigungsverfahren engagierte Gutachter hat für sein §-31a-Gutachten neue Erkenntnisse konsequent ignoriert. Wiewohl von der Natur- und Landschaftsschutzorganisation Alliance for Nature (AFN) fristgerecht eingebracht, fand die Expertise von Vieregg-Rössler zum volkswirtschaftlichen Nutzen des Semmeringbasistunnels (SBT) keinen Niederschlag im neuen UVP-Bescheid. Aus heutiger Sicht dürfte der Tunnel nicht gebaut werden, weil ein Nutzen-Kosten-Wert von 1,0 oder darüber nicht erreichbar sei, schreiben Vieregg-Rössler.

Dynamische Preise

Womit klar ist: Das Ministerium hält an den von WU-Verkehrswirtschaftsprofessorin Brigitta Riebesmeier auf Basis von Zahlen aus dem Jahr 2008 errechneten Kosten-Nutzen von 5,11 fest. Vom Standard um Stellungnahme gebeten, verteidigt Riebesmeier ihre auf Basis von IHS- (erreichbarkeitsabhängiges Regionalmodell für die Betriebsphase) und Wifo-Berechnungen (für die Bauphase) erstellte Studie. Das öffentliche Interesse sei im Hinblick auf Verbesserungen der regionalen Erreichbarkeiten (Zeitersparnis), Standortqualität sowie Beschäftigungseffekte errechnet sowie aufgrund der Bewertung der positiven und negativen Umwelt- und sozialen Wirkungen, erklärt Riebesmeier - soweit durch empfohlene Preisansätze monetarisierbar. Die Verkehrswirtschafterin kam 2010 zu dem Schluss: "Der Saldo der positiven volkswirtschaftlichen Nutzenwerte überwiegt bei der Bewertung des SBT neu mehrfach positiv die negativen Kostenwerte der Errichtung."

Im Übrigen sei das öffentliche Interesse aus europäischer Sicht schon dadurch dokumentiert, dass die Südbahnachse Bestandteil des TEN-Korridors "Baltisch-adriatische Achse" und als prioritäres Projekt eingestuft ist, weil mit dem SBT die Achse beschleunigt und modernisiert wird. Dass die Baukosten beim Spatenstich im April 2012 bereits um mehr als eine Milliarde höher waren - im ÖBB-Rahmenplan 2013-2018 wurden sie auf 3,285 Mrd. Euro und ein Jahr später auf 3,43 Milliarden taxiert -, ändere am öffentlichen Interesse grundsätzlich nichts.

Das Modell der Investitionsrechnung sei dynamisch und berücksichtige sowohl den zeitlichen Anfall von Ein- und Auszahlungen als auch Zinseszinsen (Zinssatz 5,56 Prozent plus Finanzierungskosten in den ausgewiesenen Annuitäten). Je länger Planungs- und Durchsetzungsphasen dauerten, desto teurer werde aufgrund der Preissteigerungen und Änderungswünsche eine Investition, sagt Riebesmeier, räumt aber abschließend ein: "Natürlich müsste man, wenn man das Projekt 2014 beurteilen will, eine Neuberechnung auf Preisbasis 2014 und auf Basis aktueller Errichtungskosten durchführen. Das betrifft aber auch die anderen Daten der Kosten-Nutzen-Analyse hinsichtlich Preisansätzen."

Bleibt man bei dieser Berechnungsmethode, führen höhere Baukosten automatisch zu einem höheren Effekt der Wertschöpfung während des Baus - und damit zu einem höheren Nutzen. (Luise Ungerboeck, DER STANDARD, 26.7.2014)