Paul de Grauwe

Standard: Die Europäische Zentralbank hat im Juli 2012 eine Trendwende in der Eurokrise herbeigeführt. Was hat sich geändert?

De Grauwe: Die Angst ist verschwunden. Vor der Ankündigung im Juli haben viele Leute vor einem bevorstehenden Zerfall der Eurozone gewarnt. Es gab eine wirkliche existenzielle Angst, weil es kein Auffangnetz gegeben hat. Das wurde gelöst. Die Angst ist weg. Doch viele Risiken sind einfach verschoben worden, von den Finanzmärkten in die politische und soziale Welt.

Standard: Wie das?

De Grauwe: Regierungen wurden zu exzessivem Sparen gezwungen, die Arbeitslosigkeit ist daher hoch und destabilisiert einige der Krisenländer. Wir wissen, dass hohe Arbeitslosigkeit Langzeitfolgen hat, wirtschaftlich und menschlich wird dabei viel zerstört. Gleichzeitig haben die Schuldenstände in einigen Ländern noch nicht angefangen zu fallen. Sie steigen weiter. Das erhöht das langfristige Risiko eines Schuldenüberhangs und verdammt zu weiterer Sparpolitik.

Standard: Hat die Wirtschaftspolitik aus der Krise gelernt?

De Grauwe: Leider zu wenig. Der größte Politikfehler in der Eurozone war, dass die Schuldenstaaten ihre Ausgaben drastisch gekürzt haben, weil sie sparen mussten, aber niemand von den Gläubigerländern wie Deutschland hat mehr Geld ausgegeben. Wenn man die Wachstumserfolge in den USA und Großbritannien mit jenen Europas vergleicht, ist es augenscheinlich, dass sich andere Länder besser schlagen. Daran gibt es keinen Zweifel. Sie hatten keine Double-Dip-Rezession, gleichzeitig war das Wachstum höher und die Arbeitslosigkeit ist deutlich geringer. Auch die Europäische Zentralbank hätte viel früher helfen können. Sie haben lange gezögert, die Kreditmärkte zu unterstützen. Sie hat auch zugelassen, dass der Euro exzessiv hoch ist, alles das zeigt, dass die Politikmaßnahmen völlig unpassend waren.

Standard: Im Juni hat die EZB ein Maßnahmenpaket geschnürt. Bringt das den Aufschwung?

De Grauwe: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber ich bin noch nicht davon überzeugt, dass diese Maßnahmen viel bringen. Die negativen Zinssätze für Banken sind eher symbolisch und werden wenig verändern. Die neuen TLTROs (langfristige Kredite für die Banken, die die Kreditvergabe ankurbeln sollen, Anm.) werden wohl auch nicht sehr effektiv sein, denn sie funktionieren über das Bankensystem und das bleibt in den Krisenländern beschädigt. Den Banken selbst geht es zu schlecht und sie sind nicht in der Lage Kredite zu vergeben. Wir wissen, dass Geldpolitik in dieser Lage sehr schwierig ist. Daher braucht es auch die Fiskalpolitik und solide Banken für Wachstum. Die Geldpolitik alleine kann es nicht schaffen.

Standard: Sie fordern auch, dass die EZB Milliarden an Wertpapieren kaufen soll, um die Wirtschaft zu stimulieren. Warum?

De Grauwe: Es könnte einen wichtigen Schub liefern und die Eurozone braucht angesichts der Herausforderungen kreative Lösungen. Leider gibt es in der EZB viele Dogmen. Die sollte sie wirklich beiseiteschieben. Die Debatte um die Intervention am Staatsanleihenmarkt ist eine dogmatische Altlast. Die EZB könnte etwa direkt auf dem Währungsmarkt intervenieren und Wertpapiere in fremder Währung kaufen. Das könnte die Währung beeinflussen, wie es die japanische Zentralbank bereits macht. Mit den Dogmen der EZB wird es aber schwierig. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 26.7.2014)