"Der größte Kulturkomplex des Landes":
Warum Alexander Wrabetz nun doch keinen "billigen Industriearchitekten" am ORF bauen lässt, steht im zweiten Teil des Interviews


"Wo wir die starken Channel-Manager noch nicht haben, dort müssen wir solche Funktionen schaffen - ORF 1 und Ö1 müssen jedenfalls in diese Richtung umgebaut werden."

Alexander Wrabetz über neue Führungsstrukturen im ORF - und neue Aufgaben für ORF-Direktoren im dritten Teil des Interviews


"Mit der 'Kronen Zeitung' und der FIFA war das eine gute Zusammenarbeit, die klaglos funktioniert hat."

Wrabetz über Onlinevideos - ein Abrufportal für Deutschland, ein internationales Klassikportal - und die Querelen mit der "Krone" wegen "oe24.at" zur Fußball-WM


"Selbst wenn wir nicht mitgeboten hätten, hätte Puls 4 die Champions League nicht bekommen."

Wer den Privatsender im Rechtepoker noch überboten hat - und wo der ORF gerade stolzer Newsleader war.

Foto: ORF/MILENKO BADZIC

STANDARD: Wann der Song Contest 2015 stattfindet - das Finale am 23. Mai -, wissen Sie inzwischen. Wenn es nach dem ORF-internen Ranking, Stand heute, geht, wird er in Innsbruck über die Bühne gehen. Denn Wien soll etwa als einziger Kandidat kein - millionenschweres - Verkehrs- und Sicherheitskonzept angeboten haben. Und während Innsbruck und Graz ihre Fanmeilen im Zentrum planen, soll Wien die Kaiserwiese im Prater angeboten haben.

Wrabetz: Es gibt bisher keine Rankings, die Relevanz haben. Die Kaiserwiese ist nur ein Angebot Wiens unter mehreren Möglichkeiten. Und auch in Kopenhagen fanden nicht alle Events in einem Grätzel statt. Wesentlich ist: Alle drei Hallen erfüllen jedenfalls die Grundvoraussetzungen. Und das gibt für jede der drei Städte starke und in manchen Bereichen stärkere Argumente.

STANDARD: Vor allem: Wer wie viel zahlt.

Wrabetz: Das reicht bis zu Fragen wie: Wie viele Tickets kann man an welchem Standort für die verschiedenen Events verkaufen - da geht es um Größenordnungen von 80.000 bis 100.000 Karten inkl. öffentlicher Proben. Für die Vermarktbarkeit bei Großsponsoren spielen auch verschiedene Imagefaktoren eine Rolle. Wie ist die generelle Infrastruktur, Was passt zum Image des Song Contest, dazu, wie wir ihn positionieren wollen, auch welche Veranstaltungen gibt es, die man thematisch verbinden kann.

STANDARD: Wie den Life Ball?

Wrabetz: Zum Beispiel, wobei der später geplant ist. Es ist weit mehr als eine finanzielle Entscheidung und etwa auch eine Programmentscheidung. Wir haben die drei Standort-Kandidaten gebeten, bis kommende Woche weitere Detailfragen zu beantworten.

STANDARD: Wenn so weitergeboten wird - womöglich wird der Song Contest ja noch ein Geschäft für den ORF?

Wrabetz: Das ist nicht sehr wahrscheinlich.

STANDARD: Kann man - Sie, der ORF, wer immer noch dieses man sein könnte - es sich leisten, den 60. Song Contest nicht in Wien stattfinden zu lassen?

Wrabetz: Das ist eben eine Gesamtentscheidung. Neben den finanziellen Parametern geht es um Fragen wie: Was bringt es dem Song Contest, was der Eurovision, was dem ORF ...

STANDARD: Welche wirtschaftlichen Konsequenzen hat der Song Contest für das übrige TV-Programm: Wird dessen Budget gekürzt? Schon heuer mussten Sendeplätze für Eigenproduktionen gestrichen werden.

Wrabetz: Wir haben mit den Sportereignissen heuer viel ins Programm investiert. Das hat sich aber auch rentiert. ORF 1 und ORF 2 haben 2014 bis heute auf den Zehntelprozentpunkt genau ihre Marktanteile gehalten, mit Spartensendern liegen wir knapp über 2013. 2014 gibt es keine so großen Sportevents, also können wir einen Teil der Sonderbudgets dem Song Contest widmen. Und der Stiftungsrat hat zugestimmt, einen Teil der Wertpapierreserven dafür zu verwenden. Dazu kommen die finanziellen Beiträge der Host Cities sowie Einnahmen aus Sponsoring und Ticketverkäufen.

STANDARD: Also keine Kürzungen?

Wrabetz: Aus dem Titel Song Contest kommt es zu keinen Einsparprogrammen in anderen Bereichen.

STANDARD: Nur ein kolportiertes Beispiel: "Wir sind Kaiser" soll etwa einen Termin weniger bekommen. "TV-Media" schreibt, Robert Palfrader überlege deshalb, ganz aufzuhören.

Wrabetz: So weit ist die Budgetierung noch nicht, dass ich mit der Zahl von Formaten befasst wäre. Sicher sollte man die Marke "Kaiser" fortführen. Aber wenn man sie gut fortführt, kommt es auf eine Sendung mehr oder weniger nicht an. Es gibt Einsparungsvorgaben der kaufmännischen Direktion im üblichen Rahmen am Beginn eines Budgetierungsprozesses.

STANDARD: Wie tief liegt die Vorgabe? Schon die Personalkosten steigen im ORF ja jährlich um ein paar Millionen.

Wrabetz: Rechtekosten, Personalkosten und Sachkosten ...

STANDARD: In welchen Größenordnungen pro Jahr?

Wrabetz: In der Gegend von 20 Millionen Euro. Entsprechend müssen wir gegensteuern.

STANDARD: Jahr für Jahr?

Wrabetz: Bei einem Milliardenumsatz sind das zwei Prozent ...

STANDARD: Also etwa so viel, wie der Radiodirektor heuer sein Budget überziehen wird.

Wrabetz: Abteilungsbudgets diskutieren wir intern. Ich bin dafür verantwortlich, dass wir insgesamt nicht überziehen und in den schwarzen Zahlen bleiben. Auf der anderen Seite haben wir aber eine weitere Runde für das Handshake-Programm, manche Einnahmen entwickeln sich besser als erwartet. Wir sind also - trotz Song Contest - im normalen Budgetprozess. Vor einem Jahr mussten wir 80 Millionen Euro einsparen. Aber nach wie vor wird die Situation in vielen Bereichen angespannt bleiben.

STANDARD: Bringt so ein Song Contest einem ORF-Generaldirektor Rückenwind? Spätestens 2016 wird der Stiftungsrat den nächsten ORF-Chef bestellen. Ein bisschen scheint Ihr Wahlkampf schon anzurollen.

Nach dem Sieg 2014: Conchita Wurst mit ORF-General Wrabetz.
Foto: ORF/MILENKO BADZIC

Wrabetz: Erstens: Ich habe noch nicht einmal fertig darüber nachgedacht, ob ich verlängere. Aber selbst wenn, sind zwei Jahre davor ein viel zu langer Zeitraum in einem so bewegten Umfeld. Zweitens: Ein gelungener Song Contest in einer insgesamt gelungenen Gesamtbilanz, die man ziehen kann, stärkt sicher ein Management - und ein misslungener nicht. Es ist für den ORF und auch für Österreich eine Riesenchance, also sind wir sehr dran, vielleicht intensiver als andere Veranstalter vor uns.

STANDARD: Sie sind noch nicht sicher, ob Sie antreten: Macht Ihnen der Job etwa keinen Spaß mehr?

Wrabetz: Doch - es ist eine fantastische Aufgabe. Aber jetzt haben wir gerade eine neue Unternehmensstrategie beschlossen - und damit wahnsinnig viel zu tun in der Umsetzung, statt darüber nachzudenken oder zu reden, was ich persönlich in zwei Jahren vorhabe.

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"Größter Kulturkomplex des Landes" auf dem Küniglberg

STANDARD: Die ORF-Strategie hat einiges mit einem Bauprojekt zu tun - dem neuen Newsroom-Komplex am Küniglberg. Wir haben inzwischen die 15 Architekturbüros im Wettbewerb - nach unseren Infos jedenfalls - veröffentlicht. Liegen wir mit unseren Tipps richtig?

Wrabetz: Das ist ein anonymer Wettbewerb, und der Juryvorsitzende hat mehrfach auf diese Anonymität hingewiesen - also: Kein Kommentar.

STANDARD: Erinnern Sie sich noch, was Sie als kaufmännischer ORF-Direktor 2005 über Rundfunk-Architektur gesagt haben? "Profil" zitierte Sie damals mit: Hätte er eine neue Rundfunkstation aufzusperren, würde er einen billigen Industriearchitekten beauftragen - "damit spart man sich später eine Menge Zores".

Wrabetz: Natürlich ist die Funktion ganz wichtig. Aber wir haben den Architekten gesagt: Wenn wir hier schon nicht auf der grünen Wiesen bauen, muss die Architektur mit den bestehenden Gebäuden und ihrer architektonischen Wertigkeit kommunizieren. Das ist etwa bei der BBC gut gelungen. Und das Gebäude soll seine Aufgaben ausstrahlen: die Information. Aber mindestens so wesentlich ist für mich: Das ist der größte Kulturkomplex des Landes - mit Fernsehkultur, ORF 3, Ö1, FM4. Das sind aber auch Sport und ein Teil der Unterhaltung. Das alles soll der Bau vereinen, und das nach außen sichtbar zu machen ist eine architektonisch anspruchsvolle Aufgabe.

STANDARD: Wir haben vor dem Gespräch in der Elisabethallee vorbeigeschaut, zum Standort des Newscenters. Das ist nicht gerade ein Ort mit großer Öffentlichkeitswirkung, bisher jedenfalls nicht - wenn man nicht sehr hoch baut.

Der Platz für das neue ORF-Newscenter: Eingang Elisabethallee.
Foto: Fidler

Wrabetz: Das Gebäude wird mehrstöckig, aber kein Hochhaus. Wir überlegen, damit auch einen neuen Eingangsbereich zum ORF zu schaffen. Nicht für die Mitarbeiter, aber für Gäste und Publikum. Dort treffen dann Besucher zuerst auf das, was den ORF ausmacht - sein Programm...

STANDARD: ... und nicht die Garage. Die Überlegung macht den prominent besetzten Wettbewerb ein gutes Stück schlüssiger. Der Newsroom bedeutet neben einem Zubauprojekt einen großen Neubau der ORF-Strukturen. Zentrale Frage ist da stets: Mit einem Info-Chef über alle ORF-Medien?

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Lieber ein Ö1-Chef, der "breit mitgetragen wird"

Wrabetz: Die ORF-Strategie baut auf vier Bereichen eines Gesamtauftritts auf: Information, Kultur und Bildung, Sport, Unterhaltung und Services. Dem gegenüber stehen starke, eigenverantwortliche Marken von Ö1 bis ORF 1 bis ORF.at und vielleicht künftig mehr. Wie diese Matrix funktioniert, sollten wir in den nächsten zwei Jahren klären.

STANDARD: Dafür gibt es in Ihrem Haus ja Ideen. Zum Beispiel: auf der einen Seite Senderchefs für all diese Kanäle, vielleicht mit eigenem Infochef wie schon heute bei Ö3 und vielleicht kleinen Infoteams. Und auf der anderen Seite eine Informationsdirektion mit dem Gros der Journalisten, die Inhalte für all diese Kanäle liefern - quasi auf Bestellung. Wäre das ein sinnvolles Modell?

Wrabetz: Das sind schon relevante Fragestellungen. Klar ist: Es muss stärker in Richtung Channels und Produkt gehen. Und wo wir die starken Channel-Manager noch nicht haben, dort müssen wir solche Funktionen schaffen. Ö1 und ORF 1 müssen jedenfalls in Richtung Channel-Manager umgebaut werden. Dann ist die Frage: In welchem Ausmaß verantworten diese Channel-Manager Inhalte - oder gibt es darunter noch Infochefs wie heute bei Ö3?

STANDARD: Und der multimediale Infochef?

Wrabetz: Man muss sich anschauen, ob es einen gibt, der die - getrennte - Radioinformation, Fernsehinformation, Onlineinformation gesamthaft überblickt - oder drei. Im Tagesgeschäft muss ja einer die Verantwortung übernehmen - ob man Termin A oder B besetzt. Die Finnen haben dafür ein Board, wochenweise hat einer davon die Gesamtverantwortung. Wir müssen darauf achten, dass die journalistische Kompetenz schon im Planungsprozess einfließt.

STANDARD: Die bringt Projektleiter Stefan Ströbitzer ja mit.

Wrabetz: Natürlich, aber in der Festlegung der zukünftigen Strukturen soll das Know-how vieler unserer Journalistinnen und Journalisten genutzt werden. Ich möchte jedenfalls eine Struktur, die von den betroffenen Mitarbeitern mitgetragen wird. Und wir brauchen eine Struktur für die Übergangszeit, bevor es räumlich so weit ist.

STANDARD: Klingt, als würde es da rasch ernst.

Wrabetz: Wir sollten bis Jahresende die Zielstrukturen haben, auch für den Übergang.

STANDARD: Eine neue Struktur auch für die bestehenden Direktionen?

Wrabetz: Wenn wir jetzt eine neue Struktur für Direktionen vorschlagen, muss das nicht in zwei Jahren so kommen.

STANDARD: Ein Modell wäre eben ein Infodirektor oder eine Infodirektorin über alle Medien und eine oder einer für Programm. Eine denkbare Struktur?

Wrabetz: Ich bin da noch nicht so weit in den Überlegungen. Die Frage ist: Hat man einen Programmdirektor, der die Channel-Manager und das Produktportfolio steuert? Dann könnte dem die Information gegenüberstehen. Aber so weit sind wir noch nicht.

STANDARD: Erwarten Sie vor der ORF-Wahl 2016 schon Änderungen an Direktionsbereichen?

Wrabetz: Aus jetziger Sicht nicht bei den Personen. Aber ich würde nicht ausschließen, dass Zuständigkeiten unter den Direktionen anders organisiert werden.

STANDARD: Sie waren ja schon einmal nebenbei Infodirektor, Radiodirektor, Technikdirektor. Personalwechsel sind also ...

Wrabetz: ... kein Thema.

STANDARD: Über einen vorzeitigen Abgang von Radiodirektor Karl Amon wurde zuletzt da und dort spekuliert.

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Radiodirektor Karl Amon, TV-Innovationschef und Newsroom-Projektleiter Stefan Ströbitzer, Wrabetz (von links).
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Wrabetz: Er hat selbst gesagt, dass er nicht daran denkt, in Pension zu gehen.

STANDARD: Amons Besetzungsvorschlag für die Ö1-Führung liegt seit einigen Wochen bei Ihnen zur Entscheidung. Warum grübeln Sie so lange darüber?

Wrabetz: Der Sender läuft und hat eine interimistische Führung. Aber Direktor und Redakteursvertretung haben für verschiedene Personen votiert. Und Zentralbetriebsratsobmann Gerhard Moser hat zu Recht darauf hingewiesen, dass derzeit nur eine Programmkoordination ausgeschrieben ist, kein "Ö1-Chef". All diese Gesichtspunkte muss man vereinen. Ich treffe lieber eine gute und ausgewogene Entscheidung, die breiter mitgetragen wird - als eine rasche.

Nächste Seite: Ein öffentlich-rechtliches Netflix des ORF - vielleicht auch für Deutschland. Ein Klassik-Abrufportal - womöglich global. Und: Wie der ORF den Clinch mit "Krone" wegen WM-Videos für "oe24.at" sieht.


STANDARD: Im September will die US-Abrufplattform Netflix auch in Österreich starten. Sie kaufen vorbeugend das österreichische Abrufportal Flimmit.

Wrabetz: Wir haben in diesem Markt einen Fuß in der Tür mit unserem Einstieg beim österreichischen Abrufportal Flimmit. Klar ist aber auch: Flimmit oder Flimmit neu wird nicht versuchen, Netflix in Österreich zu verhindern. 90 Prozent des dort konsumierten Contents ist US-Ware - und dort werden wir ohnehin nicht tätig. Wir wollen im österreichischen Content-Segment so stark sein, dass wir dort eine Alternative für europäischen Content sind und kein Monopol von Netflix entsteht.

STANDARD: Ein neues Problem für ORF 1, das ja wesentlich von US-Programmen lebt?

Wrabetz: Im Wiederholungsbereich haben wir schon jetzt ein solches Problem - eben mit sonstigen, zum Teil illegalen Downloads. Das ist eine langfristige Entwicklung - aber kein kurzfristiges Problem für ORF 1.

Flimmit-Einstiegsseite, schon im ORS-Outfit.
Foto: Flimmit (Screenshot)

STANDARD: Offizielle ORF-Perspektive für Flimmit sind deutschsprachige und europäische Programme. Heißt das: Sie nehmen sich den deutschen oder den europäischen Markt des bezahlten Programmabrufs vor?

Wrabetz: Ziel ist der österreichische Markt. Und die Skalierbarkeit des Modells: Wenn wir das sehr gut und sehr richtig machen, dann soll Flimmit auch im deutschsprachigen Markt Angebote machen. Europäisch, das sollte die EBU machen. Also eine gemeinsame Contentplattform der öffentlich-rechtlichen Sender in dieser Union. So weit sind wir aber noch nicht. Flimmit ist einerseits ein Portal, aber auch ein technischer Dienstleister. Über diesen Dienstleister kann man On-Demand-Portale rasch und effizient abwickeln, auch für Dritte.

STANDARD: On-Demand-Portale für?

Wrabetz: Zum Beispiel könnte Klassik - Video wie allenfalls Audio - so eine Plattform sein, die man - in Partnerschaften - auf die Beine stellt. Das ist unter Umständen sogar eine globale Nische.

STANDARD: Partnerschaften zum Beispiel mit Produzent Jan Mojto?

Wrabetz: Unitel ist in vielen Bereichen ein hervorragender Partner, aber konkret ist da noch nichts besprochen.

STANDARD: Wie weit sind Ihre Pläne für eine umfassendere ORF-App und für Smart TV - da haben Sie von einem personalisierten Programmführer mit Empfehlungsfunktionen gesprochen?

Wrabetz: Ein erster Schritt in diese Richtung ist ein personalisierterer Zugang zur TVthek. Das andere ist ein Programmguide mit vielen interaktiven Elementen, Social-Media-Funktionalitäten. Erste Schritte wird es bis Jahresende geben. Das Gesamtprodukt Programmguide muss man erst einmal fertig konzipieren - und im derzeitigen rechtlichen Rahmen wird es vermutlich nicht ganz realisierbar sein.

STANDARD: Wann kommt also der nächste Anlauf mit ORF-Wünschen an den Gesetzgeber?

Wrabetz: Ein paar Themen haben sich aufgestaut, die am Marktgefüge nichts ändern würden. Hier ist das eine größere Bewegungsmöglichkeit im App-Bereich und bei neuen Angeboten.

STANDARD: Wodurch fühlen Sie sich denn behindert?

Wrabetz: Die Vorabprüfungen von Angeboten und deren Änderung durch die Medienbehörde ist bei uns sehr kleinteilig geregelt. Die Vorprüfung ist eine EU-Vorgabe. Aber die EU definiert im Fall Belgiens gerade die Anforderungen neu: Nur Änderungen von Angeboten, die zwei Prozent des Gebührenvolumens betreffen, müssen neu geprüft werden. Das wären bei uns rund zehn Millionen Euro im Jahr. Das zeigt, dass auch die EU umdenkt. Und umgekehrt zeigt Netflix, dass so intensive Regulierung in Europa vor allem US-Konzernen nützt. Das deutsche Kartellamt hat sowohl ARD und ZDF als auch RTL und ProSieben gemeinsame Abrufportale untersagt. Jetzt drängt ein US-Unternehmen ohne jede Beschränkungen in diese Lücke. Vielleicht bewegt sich das Pendel ja in die Gegenrichtung und man räumt europäischen Medien mehr Bewegungsfreiheit ein.

Videos für Zeitungsplattformen: "Heuer starten"

STANDARD: Wie weit sind eigentlich die Gespräche über ORF-Videoinhalte für Plattformen anderer Medien mit gemeinsamer Vermarktung?

Wrabetz: Die Gespräche laufen. Und es wäre gut, wenn wir heuer starten könnten. Man sollte Zusammenarbeit österreichischer Medienhäuser in bestimmten Bereichen nicht nur als sinnvoll erkennen - sondern sie auch einmal umsetzen.

STANDARD: Die "Krone" wirkte gerade bei der Fußball-WM nicht zu zufrieden mit Ihrer Kooperation: Sie wirft dem ORF vor, er habe ihr - im Rahmen eines Gegengeschäfts - Videoinhalte von den Spielen verkauft - und Konkurrent "Österreich" Tipps gegeben, wie er ohne Entgelt ebenfalls Sequenzen zeigen kann.

Wrabetz: Das zeigt die grundsätzliche Frage auf, wie wir Bewegtbildinhalte zur Verfügung stellen können, und zwar transparent und nicht-diskriminierend am österreichischen Markt.

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Um bewegte WM-Bilder wie von dieser Szene streiten "Krone" und "oe24.at": Götzes Weltmeistertor.
Foto: REUTERS / KAI PFAFFENBACH

Clinch mit der "Kronen Zeitung"

STANDARD: Ist diese Kooperation aus Ihrer Sicht gut verlaufen?

Wrabetz: Lange wurde von uns gefordert, wir würden Content exklusiv für uns einkaufen, sollten ihn also sublizenzieren. Mit der "Kronen Zeitung" und der FIFA war das eine gute Zusammenarbeit, die klaglos funktioniert hat. Wir haben zu jedem Zeitpunkt klargestellt, dass es keine exklusive Kooperation mit einem Partner gibt. Zeitlich ging sich ein solcher Vertrag seitens FIFA aber für andere nicht mehr aus. Nun stellte sich die Frage: Gilt das Recht auf Kurzberichterstattung so wie für andere TV-Sender auch für Onlinemedien? oe24.at hat eine Fernsehlizenz.

STANDARD: Gab es keine Warnungen oder rechtlichen Bedenken aus Ihrem Haus, zum Beispiel Ihrer Rechtsabteilung, gegen diesen rechtlichen Kniff zugunsten oe24.at?

Wrabetz: Es ist kein "Kniff" zugunsten von irgendjemandem, sondern die Frage, ob und wie das Fernseh-Exklusivrechte-Gesetz anzuwenden ist. Über unsere Einschätzungen darüber wurden verschiedene Marktteilnehmer informiert. Natürlich gibt es zu so schwierigen Rechtsfragen auch intern immer wieder unterschiedliche Einschätzungen. Wir haben auf die rechtlichen Voraussetzungen für das Recht auf Kurzberichterstattung mehrmals und detailliert hingewiesen und auch darauf, dass es dazu noch keinen ausjudizierten Fall gibt. Jetzt wird rechtlich geprüft, ob diese Bedingungen überschritten wurden. Es ist jedenfalls interessant, wenn das für die Zukunft genau geklärt wird.

Letzte Seite: Champions League: Nicht nur der ORF hat Puls 4 überboten. Starnächte: Was der ORF-Chef mit einem Bundesländerkanal vorhat. Und wo der ORF "Newsleader" war.

"Kein Kanal, der in Endlosschleife Pressekonferenzen von Landeshauptleuten überträgt"

STANDARD: Sie haben ein Projekt wieder hervorgeholt, das ebenfalls eine Gesetzesänderung bräuchte: ein eigener Fernsehkanal für Bundesländerprogramm. "Bundesland heute" mal neun in Endlosschleife?

Wrabetz: Nein. Ein Sender für regionalen Content - der aber natürlich ähnlich wie ORF 3 sehr stark Archivschätze nützen würde, kombiniert mit Aktuellem. Sicher unterhaltlicher als ORF 3 ...

STANDARD: Stichwort "Starnacht".

"Starnacht am Wörthersee" 2014: Marco Angelini (Mitte).
Foto: ORF/ipImedia/Peter Krivograd

Wrabetz: Jedenfalls kein Kanal, der in Endlosschleife Pressekonferenzen von Landeshauptleuten überträgt. Darum geht es nicht. Sondern um vielfältigen, regionalen, landschaftlichen, kulinarischen Content, garniert mit dem vorhandenen Informationsangebot, eventuell etwas anders verpackt und ergänzt. Das könnte es sein. Das ließe sich mit überschaubarem Aufwand gestalten, würde die Marktverhältnisse im Land nicht grundlegend ändern - könnte aber ein attraktives Zusatzangebot sein.

STANDARD: Im Publikumsrat haben Sie dafür die nächsten zwei Jahre als Zeithorizont genannt.

Wrabetz: Im April 2009 haben wir im Strategiekonzept ORF 3 detailliert dargestellt - im Herbst 2011 ging das Programm auf Sendung. Wir haben nun den Bundesländerkanal in unserem neuen Strategiepapier. Die Laufzeiten werden da ähnlich sein.

STANDARD: Als Überlegung hört man immer wieder von doppelt so viel "Bundesland heute" in ORF 2, jeweils ab 18.30 Uhr?

Wrabetz: Das halte ich aus finanziellen Gründen in der derzeitigen Situation für nicht realisierbar. Man kann ja nicht einfach "Bundesland heute" verlängern. Das müsste ein ganz neues, auch inhaltliches Konzept für Content aus den Regionen sein. Das wäre schön - kostet aber auch echtes Geld.

STANDARD: Eine Art "Sommerzeit" regional?

Wrabetz: Eher in diese Richtung. Die Vorstellung, dass eben der Moderator früher kommt und länger redet oder die Berichte einfach doppelt so lang werden, würde dem gewaltigen Erfolg der Sendung nicht guttun. Man muss schon darauf achten, dass man den Leuten trotz regionaler Inhalte in der Mittags-Infoschiene, um 17 Uhr und in den "ZiB" um 19 Uhr noch etwas Neues bieten kann.

"Wehrschütz war der Erste, womöglich weltweit"

STANDARD: Nach dem Absturz der Malaysia-Maschine über der Ukraine hat Puls 4 mit einer mehrstündigen Früh-Sondersendung aufgezeigt. Hätten Sie ein Früh-Spezial nicht gern auch im ORF gehabt?

Wrabetz: Nein, im Gegenteil: Das Ereignis hat ja am Nachmittag stattgefunden. Wir waren den ganzen Abend Newsleader und haben in allen unseren Nachrichtensendungen ausführlich berichtet. Christian Wehrschütz war der Erste, womöglich weltweit, der von den abgehörten Funksprüchen berichtet hat. Er war als einer von wenigen vor Ort. Und wir hatten eine tolle "ZiB 24". Wir haben hier exemplarisch unsere Stärken gezeigt. Puls 4 war eben zwölf Stunden später dran und hat im Frühstücksfernsehen berichtet, nicht in einer Sondersendung.

Champions League: "Das Argument ist abstrus"

STANDARD: Vor wenigen Tagen hatten Sie vor der Medienbehörde eine ausführliche Verhandlung: Puls 4 beschwerte sich, der ORF habe Puls 4 mit Gebührengeld weit über Marktwert überboten.

Wrabetz: Inhaltlich bin ich sehr sicher. Das Argument ist abstrus, dass wir Programme wie die Champions League allein mit Werbung am Sendeplatz finanzieren müssten. Selbst Privatsender schaffen das meist nicht mit der Werbung direkt auf dem Sendeplatz. Es ist schon sehr erstaunlich, wenn jemand so eine Beschwerde einbringt, der für die Rechte weniger geboten hat als bei der vorangegangenen Ausschreibung - und die Champions League ist in der Zwischenzeit mit Sicherheit deutlich mehr wert. Und selbst wenn wir nicht geboten hätten, hätte Puls 4 die Rechte dennoch nicht bekommen: ATV wäre dann Bestbieter gewesen. Drittens: Wir haben nicht alle Rechte gekauft - und beim zweiten Rechtepaket wurde Puls 4 von Sky überboten. Ich verstehe, dass man sich bei Puls 4 nicht freut, wenn der Konzernchef von ProSiebenSat.1 keinen Kauf zulässt. Aber was hat das mit dem ORF zu tun? (Harald Fidler, derStandard.at, 25.7.2014)