Wer zuzieht und nicht ausreichend Deutsch kann, soll bis zu ein Jahr lang in eine Extraklasse gehen, finden jetzt auch Experten.

Wien - Sprachwissenschafter lehnen den Vorschlag des Expertenrats für Integration ab, dem zufolge ausländische Quereinsteiger in das österreichische Bildungssystem in Extraklassen zusammengefasst werden sollen. Unterschiedliche Meinungen gibt es auch zur Interpretation des Berichts selbst. Ruth Wodak, Mitglied des Expertenbeirats, ist von den Medienberichten über separate Schulklassen für Migranten im Gespräch mit derStandard.at überrascht.

Der von Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) eingesetzte Expertenrat für Integration spricht sich laut mehreren Medienberichten dafür aus, Quereinsteiger bis zu ein Jahr lang in speziellen Klassen zu unterrichten - oder, sofern keine Notwendigkeit mehr besteht, auch nur wenige Wochen, wie der Autor des Sprachkapitels, Ilan Knapp vom Jüdischen Beruflichen Bildungszentrum in Wien, im Ö1-"Morgenjournal" erklärte.

Wörtlich ist in dem Bericht, der dem STANDARD vorliegt, von "Vorbereitungsklassen" die Rede, die "wenn eine entsprechende Nachfrage in einem schulischen Einzugsgebiet vorhanden ist", eingerichtet werden sollen (siehe Info-Kasten unten).

Außerordentlich pflichtfrei

Die derzeitige Praxis hält der Expertenrat jedenfalls für "nicht zielführend": Bislang werden Quereinsteiger automatisch als außerordentliche Schüler geführt, eine verpflichtende Sprachförderung gibt es nicht. Mit dem vorgeschlagenen Modell will man sich künftig an internationalen Beispielen wie Hamburg und Quebec orientieren.

Extra-Kindergartengruppen

Der Expertenrat des Integrationsministers hat konkrete Forderungen für den Kleinkinderbereich: Neben einem zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr sollen Kinder mit Sprachschwächen auch im Kindergarten in Extragruppen zusammengefasst werden. So sei eine "verpflichtende Sprachförderung für jene Kinder einzurichten, bei denen über eine Sprachstandsfeststellung ein besonderer Sprachförderbedarf festgestellt werden konnte".

Wodak: "Davon ist keine Rede"

"Überrascht" über die Medienberichte zeigt sich nun just ein Mitglied dieses Expertenrats, die Linguistin Ruth Wodak von der Universität Lancaster. "Ich erkenne diesen Bericht nicht wieder", sagt Wodak zur aktuellen Berichterstattung. "Da wird von segregierten Klassen gesprochen – davon ist im Bericht keine Rede." Es sei in den Gesprächen des Beirats immer nur um zusätzliche Förderstunden am Nachmittag gegangen, also um Gruppenförderunterricht, um vorbereitende Sprachkurse und Crashkurse im Sommer, und zwar zugeschnitten auf den jeweiligen individuellen Bedarf des Schülers oder der Schülerin. Außerdem komme der Begriff "Sprachdefizit" im Bericht nicht vor, sie würde das ablehnen, sagt Wodak im derStandard.at-Gespräch.

Fassmann: "Kein paralleles Schulwesen"

Warum das jetzt anders und weniger differenziert kommuniziert wird, "da bin ich überfragt", sagt die Linguistin. "Sollten wir möglicherweise für Hickhack der Regierung instrumentalisiert werden, dann stellt sich für mich die Frage, ob ich da überhaupt noch teilnehmen will." Nachsatz: "Der Expertenrat ist unabhängig – sonst würde ich da erst gar nicht mitmachen." Wodak schlägt vor, die Pressekonferenz und den gesamten Bericht abzuwarten, um sich genau informieren zu können – "anstatt sich mit Halbsätzen aufzuhalten".

Heinz Fassmann, Leiter des Expertenbeirats für Integration, präzisierte im Ö1-"Mittagsjournal", dass die Vorbereitungsklassen für Quereinsteiger nur temporär sein sollen. Diese "Crashkurse" sollten in möglichst kurzer Zeit einen Grundstock an Deutsch-Kenntnissen vermitteln und könnten auch im Sommer stattfinden, so Fassmann. Keinesfalls wolle man damit ein "paralleles Schulwesen" schaffen.

Sprachwissenschafter lehnt Vorschlag ab

Klaus-Börge Boeckmann, Professor für Deutsch als Zweitsprache an der Universität Wien, kann sich über die Vorschläge des Integrationsbeirats im Gespräch mit derStandard.at jedenfalls nur wundern. "Diese Idee kommt alle paar Jahre wieder, obwohl das noch nie funktioniert hat", sagt er. Grundsätzlich sei es zwar sinnvoll, Sprachförderung zu verstärken, die Kinder in gesonderten Klassen zu unterrichten lehnt Boeckmann aber ab.

"Das Problem ist, dass viele glauben, dass es nichts bringt, wenn man Kinder, die nicht Deutsch können, in den normalen Unterricht setzt." Die Erfahrungen aus der Sprachwissenschaft würden aber zeigen, dass der gemeinsame Unterricht immer besser sei. "Verkehrssprache in der Klasse ist Deutsch, die Kinder möchten dazugehören, deshalb haben sie die Motivation, Deutsch zu lernen." Der Unterricht in Extraklassen hätte den gegenteiligen Effekt: Die Kinder würden stigmatisiert und nicht motiviert.

Zusätzliche Lehrer

Boeckmann schlägt stattdessen vor, zusätzliche Lehrer in jenen Klassen einzusetzen, in denen Kinder mit Deutschproblemen sitzen. "Auch zusätzlicher Unterricht am Nachmittag oder während des Regelunterrichts ist möglich." Eine Art "Crashkurs" in Deutsch als Starthilfe für Kinder, die gar kein Deutsch sprechen, kann sich der Sprachwissenschafter ebenfalls vorstellen. "Trotzdem sollte man die Kinder aber nicht isolieren, sondern gemeinsame Aktivitäten mit der Klasse organisieren, in die sie später kommen werden."

"Völlig absurd"

Sprachwissenschafter Rudolf de Cillia kritisiert wie sein Kollege den Vorschlag, Kinder mit Migrationshintergrund getrennt zu unterrichten. Für ihn liegt der Schlüssel der Sprachförderung darin, bereits im Kindergarten anzusetzen. Den Vorschlag des Expertenberichts, wonach ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr eingeführt werden soll, begrüßt er deshalb. Allerdings nur Kinder zu verpflichten, bei denen Probleme beim Lernen von Sprachen festgestellt werden, hält er für "völlig absurd": "Das ist institutionelle Diskriminierung." Es sei unmöglich, im Alter von drei Jahren ein Defizit festzustellen.

De Cillia fordert zudem kleinere Gruppen im Kindergarten. Wichtig wäre laut dem Sprachwissenschafter auch eine bessere Ausbildung der Kindergartenpädagoginnen in Hinblick auf die Sprachförderung. Außerdem müssten die Pädagoginnen an der Universität und nicht wie bisher an den Bundesbildungsanstalten für Kinderpädagogik unterrichtet werden.

Heinisch-Hosek: Kein Problem mit Vorschlag

Im Büro von Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) hat man grundsätzlich kein Problem mit dem Vorschlag zu den Quereinsteigern. In Ballungszentren sei es sogar bisher schon Praxis, dass Schüler, die unterm Jahr dazustoßen, in separaten vorbereitenden Gruppen "schulfit" gemacht werden, wie eine Sprecherin der Ministerin auf Anfrage von derStandard.at erklärt. "Das steht auch im Regierungsprogramm."

Derzeit entscheiden Schulen

Bereits im Vorjahr gab es aber eine Annäherung: Die damalige Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) und Kurz einigten sich auf ein Modell, bei dem der jeweilige Schulleiter über die Form der Sprachförderung entscheiden soll. Im aktuellen Regierungsprogramm findet sich sogar ein Passus, wonach "für Kinder mit Sprachförderbedarf verpflichtende sprachliche Intensivkurse eingerichtet werden".

Wichtig sei jedenfalls, dass die Schüler nicht "langfristig" aus dem Klassenverband genommen werden, heißt es aus dem Unterrichtsministerium.

Generell separate Klassen für Schulanfänger einzuführen, deren Deutschkenntnisse nicht ausreichen - wie es die FPÖ seit langem fordert -, lehnt die SPÖ weiterhin ab. Im Integrationsbericht wird dieser Punkt offen gelassen.

Einmal mehr wurde im Unterrichtsministerium die Forderung nach einem zweiten Gratiskindergartenjahr bekräftigt. "Wir wissen, dass man mit der Sprachförderung so früh wie möglich beginnen muss, damit man den Kindern einen bestmöglichen Start ermöglicht." (lai, go, riss, sterk, derStandard.at, 25.7.2014)