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HK Grubers Sichtung der "Geschichten aus dem Wiener Wald" in Bregenz bietet ungewohnte Einblicke in das Leben früherer Handwerksberufe wie jenem des Fleischhauers.

Foto: APA/DIETMAR STIPLOVSEK

Bregenz - Es gibt kaum ein Bühnenstück, das mit einer vergleichbaren Erbarmungslosigkeit das Zermalmen eines Menschen im Fleischwolf der Lebensumstände schildert wie Ödön von Horváths 1931 uraufgeführte Geschichten aus dem Wiener Wald. Die Hauptfigur der Marianne ist wie ein Schmetterling, der zur Liebessonne hin in die Freiheit flattert und mit verkohlten, zerrupften Flügeln wieder in den Käfig der aufgezwungen Ehe zurückkehrt.

Eine Opera buffa hat sich Bregenz-Intendant David Pountney von HK Gruber gewünscht, nachdem er 2006 beim Lucerne Festival dessen Kracher Frankenstein!! miterleben durfte. Der meistgespielte österreichische Komponist, wie Pountney Entertainer und ernster Kopf zugleich, suchte hingegen nach einem umwölkten Stoff, um seinem Image als "Clown vom Dienst" der Neuen Musik zu entfliehen.

Es wurden also, nach einigem Zögern, die Geschichten aus dem Wiener Wald - von Horváth ursprünglich auch als Schauspiel mit Musik von Kurt Weill angedacht. HK Gruber ist ja einer der weltheftigsten Weill-Adoranten, und so wird bei Gruber die gesellschaftlich geforderte Maske des "guten Tons" - in diesem Stück auch durch Wienerlied- und Walzerseligkeit beschrieben - zu schrägen Klangfratzen deformiert, die sich oft zu monströsen Eruptionen des Blechs aufblähen und die Zähne zeigen.

Wesensgemäß ist der Komponist HK Gruber eher ein Unruhegeist, ein Offensivspieler: Selten offeriert der 71-Jährige dem Hörer narkotische Klangflächen als Ruheinseln, selbst die ariosen Passagen werden gern mit einer ameisenhaft-umtriebigen Orchesterbegleitung unterlegt. Und in den Arien schreibt Gruber den Sängern weit ausholende Melodien wie vor ihm zuletzt Herr Puccini.

Regisseur und Librettist Michael Sturminger inszeniert das Geschehen in stimmungsvollen Bildern, deren Graulastigkeit die bleiernen Umstände der Entstehungszeit ahnen lässt. Großbildprojektionen im Szenenhintergrund siedeln das Geschehen in der Gegenwart an, die Kostüme erzählen jedoch Geschichten aus einer diffusen Vergangenheit.

In all dem Grau(en) gibt Ilse Eerens eine berührende Marianne, die mit einem kleinen, kompakten Sopran gegen ihr Schicksal ansingt; Daniel Schmutzhard bietet baritonale Nettigkeit und bleibt als Vorstadtfilou Alfred trotz einer optischen Annäherung an Christoph Grissemann leider eine charakterliche Leerstelle. Feist und kregel, mit hohem geschmeidigem Tenor ist Jörg Schneider eine Idealbesetzung für den Oscar: Unbeirrbar in seiner vermeintlichen Gutherzigkeit, trägt der Fleischhauer Marianne im Schlussbild wie ein frisch geschlachtetes Tier auf seinen Armen davon.

Angelika Kirchschlager gibt die besoffene, paarungsoffene Trafikantin Valerie mit Verve und bewältigt ihre Partie souverän; Albert Pesendorfer ist ein Zauberkönig mit etwas zu viel Hofratsflair. Einprägsam und kraftvoll Alexander Kaimbacher als schmieriger Ferdinand, authentisch Robert Maszl als Havlitschek.

Mit prägnantem und schmiegsamem Tenor, ein Theo Lingen der Burschenschafter: Michael Laurenz als Erich; solide David Pitter-Jennings (Mister), Anke Vondung (Mutter) und Markus Butter (Rittmeister/Beichtvater). Und Anja Silja ist ein Großmuttermonster, wie man es sich schlimmer nicht denken kann.

Im Orchestergraben leitet der Komponist sein eigenes Werk. Die Wiener Symphoniker meistern die anspruchsvolle Partitur respektabel bis beeindruckend. In den Applaus mischt sich Schmerz über die Unverzeihlichkeit, dass Pountneys Nachfolgerin Elisabeth Sobotka ab 2015 die Bregenzer Tradition von Opernraritäten und -uraufführungen im Festspielhaus nicht fortführen wird. (Stefan Ender, DER STANDARD, 25.7.2014)