Wien - Von "einem sehr legeren Umgang mit Beweiswürdigung" spricht die Linzer Strafrechtsprofessorin Petra Velten im Fall Josef S.: Sie sieht den Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" beim Urteil gegen den Anti-Akademikerball-Demonstranten infrage gestellt.

Um die Unschuldsvermutung sei es in der Praxis der Strafjustiz zwar allgemein "nicht besonders gut bestellt", sagt die Strafrechtlerin, hier sei es aber "extrem": Dass das Gericht auf der Basis einer Zeugenaussage, die von anderen Beweisen zum Teil relativiert wurde, einen Schuldspruch verhängte, sei bedenklich.

Für die Juristin ist es zwar verständlich, verhindern zu wollen, "dass eine gewisse Demonstrationskultur aus Deutschland und Frankreich nach Österreich überschwappt". Das Strafrecht sei aber dafür das falsche Mittel - besser wäre es, mit kluger Polizeitaktik zu verhindern, dass Ausschreitungen passieren. Im Fall Josef S. entstehe jedoch der Eindruck, dass man "einen Sündenbock" für Eskalationen suchte.

Paragraf verzichtbar

Der Fall zeige auch, dass der Tatbestand des Landfriedensbruchs "viel zu weit geht", so Velten im STANDARD-Gespräch. "Man muss erst seine Unschuld beweisen, wenn man bei einer Demonstration mitgeht, bei der ein paar Autonome etwas zerstört haben." Der Richter hatte in der Urteilsbegründung darauf hingewiesen, dass sich Josef S. von der Demonstration hätte entfernen sollen, um einer Anklage zu entgehen. Aus Sicht der Versammlungsfreiheit sei dies "problematisch".

Velten würde den Paragrafen 274 des Strafgesetzbuches nicht, wie von SPÖ und FPÖ gefordert, reformieren, sondern sie hält ihn gleich für verzichtbar. "Wenn sich jemand in einer Gruppe an Sachbeschädigungen oder Körperverletzungen beteiligt oder dazu aufstachelt, ist er auch ohne Landfriedensbruch strafbar." Für eine Modifikation bzw. Abschaffung des Paragrafen sprechen sich auch mehrere Justizsprecher der Parlamentsparteien aus.

Wegen Landfriedensbruch im Zuge einer politischen Demonstration ist auch ein Teilnehmer an mehreren Demonstrationen gegen Rechts angeklagt, er steht am 18. August vor Gericht, wie derStandard.at bereits berichtete. (sterk, derStandard.at, 23.7.2014)