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New York - Der Begriff Entrepreneurial Journalism – unternehmerischer Journalismus – ist der europäischen Medienbranche nach wie vor recht fremd. In den USA, wo die Traditionshäuser noch viel härter von der Wirtschaftskrise und der digitalen Revolution getroffen wurden, wird im Entrepreneurial Journalism hingegen die größte Chance für junge journalistische Talente gesehen: Anstatt sich über Jahre als Praktikanten und schlecht bezahlte Redakteure durchzuschlagen, gründen sie besser ihr eigenes Start Ups oder setzen nachhaltige, innovative Projekte um. Die Journalismus-Schulen haben ihre Ausbildungsprogamme entsprechend adaptiert und bieten zahlreiche Lehrgänge im Entrepreneurial Journalism an (eine Liste dazu finden Sie hier).

Rund 60 Vertreter von amerikanischen Ausbildungsinstituten haben sich beim "Entrepreneurial Journalism Summit“ Mitte Juli auf Einladung der von den beiden Medienwissenschaftlern Jeff Jarvis und Jeremy Caplan im Tow Knight Center der City University of New York versammelt, um Erfolge und Mängel in Entrepreneurial-Journalism-Progammen zu diskutieren. Auch fjum_forum journalismus und medien war dabei, um das Konzept seines Masterlehrgangs IMIM vorzustellen und sich mit den Kollegen auszutauschen.

Erstaunlich war zunächst, wie sehr sich die Diskussion in den USA von der in Europa unterscheidet. Über den Niedergang der Medien wird jenseits des Atlantiks eigentlich gar nicht mehr geklagt. Stattdessen konzentrieren sich die Unis dort auf die Chancen für eine neue Generation an Journalisten, die der digitale Wandel mit sich bringt.

Elizabeth Thornton vom Babson College in Massachusetts brachte das in ihrer Keynote so auf den Punkt: "Quit Yappin – go and create something“ - "Hört auf zu jammern und gründet etwas Neues!“ Dann erläuterte sie die vier Prinzipien, die für sie im unternehmerischen Journalismus wesentlich sind:

1) Orientiert Euch an vorhandenen Mitteln, nicht an Zielen!

Die Journalismus-Studenten sollten zunächst intensiv darüber nachdenken, was sie bereits zum Start des Projekts mitbringen. Statt sich gleich einmal über die Folgen eines möglichen Misserfolgs Sorgen zu machen, sollte die erste Frage eher lauten: Welche Tools, Kenntnisse und welches Netzwerk habe ich? “Lasst sie ihre Vision formulieren und überlegen, wen sie in diese Version einbinden können.”

2) Seid euch darüber bewusst, was ihr einzusetzen bereit seid!

Die Studenten sollen sich überlegen, wie lange und wie intensiv sie sich für ihr Projekt/ihr Start-Up engagieren wollen. Wie viel Geld und Zeit wollen sie investieren, bis sie ein funktionierendes Geschäftsmodell finden? Sind sie bereit, Familie, Beziehungen und Freunde über einen gewissen Zeitraum hintanzustellen?

3) Arbeitet mit Unterstützern, die sich Euch aussuchen, nicht umgekehrt!

Der Einzelunternehmer muss nicht mehr wie früher alle Rollen selbst erfüllen, dazu sind die technischen und unternehmerischen Herausforderungen zu groß. Stattdessen ist es hilfreicher, einen oder mehrere Mitgründer zu finden, welche die gleichen Werte teilen und sich für das Projekt begeistern können.

4) Lernt Hindernisse und Überraschungen zu schätzen – sie werden zu Erfahrungen und Gelegenheiten.

Das Ziel bleibt klar, aber die einzelnen Handlungsschritte sollten entlang des Weges immer wieder adaptiert werden. werden. Kleine und größere Rückschritte sind ein wichtiger Erfahrungsinput: "Das Ergebnis wird nie Scheitern sein, sondern immer mehr Daten!”

In kurzen Impulsvorträgen zeigten die Univertreter dann ihre Best-Practice-Beispiele im unternehmerischen Journalismus. "Denkt mehr über Kennzahlen nach und bleibt spontan“, sagte beispielsweise Miranda Mulligan vom Knight Lab der Northwestern University. “Wenn es schneller geht, eine Idee auf die Beine zu stellen als sie zu diskutieren, dann ist es auch besser, sie umzusetzen und auszutesten anstatt abzuwarten.” Präsentationstraining mit ungewöhnlichen Methoden schlug Mark Potts von newspeg.com vor: Durch Puppenspiele oder ein Musikvideo würden die Gründer lernen, ihre Idee präziser zu formulieren. “Es hilft auch, die Studenten ihre Ideen auszutauschen und sie die Konzepte anderer Schüler vorstellen zu lassen.” Damit ihre Studenten betriebswirtschaftliches Basiswissen lernen, ließ Meredith Broussard von der Temple University in Philadelphia sie eine kleine Bäckerei betreiben.

Gleich mehrere Teilnehmer sprachen sich für Partnerschaften mit lokalen Gründerinitiativen und anderen Fakultäten wie beispielsweise den Wirtschaftsunis aus. Brian Steffen vom Simpson College aus Iowa sieht die Einbindung von Unternehmern in den Unterreicht als sinnvoll: “Andere Unternehmer beweisen den Journalisten, dass eigene Gründungen dazu führen, in einem schweren Markt selbst die Kontrolle zu übernehmen. Sie sehen diese anderen Leute und denken: Wenn der es schafft, schaffe ich es auch.”

Was freilich nicht bedeutet, dass die Institute in den USA nicht auch mit Problemen kämpfen und dass im Wochenrhythmus neue Mark Zuckerbergs ausgebildet werden. Die häufigsten Sorgen der Unis: Es sei schwer, gegen die Angst vorm Scheitern anzukommen. Die Studenten seien zu sehr daran gewöhnt, dass ihnen jemand Ziele vorgibt. Überhaupt sei der Schritt schwer, über die Konzeptphase hinauszukommen. "Es gibt so viele hervorragende Ideen, aber die meisten scheitern an der Durchführung. Wenn du ein Projekt umsetzen willst und damit nachhaltig Erfolg haben willst, musst du zehn Jahre investieren“, sagt Jeff Mignon, Gründer der Digital-Agency RevSquare, der unter anderem für die "New York Times", the Associates Press sowie Barnes und Noble Projekte umgesetzt hat und jetzt am Tow Knight Center unterrichtet.

Die Chancen des Entrepreneurial Jounalism werden allmählich auch in Europa von jungen Journalistinnen erkannt, die in den starren Strukturen von Traditionshäusern ihre Ideen nicht umsetzen können. Als positive Beispiele sind hier die Gründer des holländischen Online-Portals De Correspondent zu nennen, die durch Crowdfunding innerhalb weniger Tage über eine Million Euro aufstellen konnten, um ihr Online-Magazin zu gründen. Auch in Deutschland machen sich talentierte junge Journalisten immer häufiger selbstständig (Eine Liste der interessantesten journalistischen Start Ups in Deutschland finden Sie hier). Und Österreich? Hier ist die Szene der unternehmerischen Journalisten noch relativ klein, als positive Beispiele sind das investigative Datenjournalismus-Projekt Dossier und das Online-Magazin Paroli zu nennen.

Gut möglich, dass in den kommenden Jahren noch einige mehr aus dem Boden schießen. Oder aber die großen Verlage suchen aktiv nach Jungunternehmern, die in ihren Häusern neue Projekte umsetzen können. In den USA passiert das jedenfalls schon. "Wenn Sie Studenten mit guten Ideen haben, schicken Sie sie doch zu uns“, meinte ein Journalist der "Chicago Tribune". (Daniela Kraus, derStandard.at, 22.7.2014)