Sechs Personen in einer Wohnung: Relative Enge erzeugt in "Der wundersame Katzenfisch" weniger Beklemmung als Intimität.

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Wien - Stoffvorhänge trennen die einzelnen Patientinnen auf einer Krankenstation im mexikanischen Guadalajara voneinander. Im Fall von Claudia eröffnet diese notdürftige Abgrenzung allerdings eine Anschlussmöglichkeit: Nebenan liegt Martha, Mutter von vier teils schon erwachsenen Kindern.

Als sich die frisch am Blinddarm operierte Claudia nach ihrer Entlassung allein zu ihrer Bleibe schleppt, wird sie von Martha kurzerhand in deren leuchtend gelben VW-Käfer eingeladen und mit nach Hause genommen.

Die Einzelgängerin Claudia (Ximena Ayala), die in einem abgelegenen Industriebau lebt und sich als Hilfskraft in einem Supermarkt durchbringt, wird vom Familienorganismus gewissermaßen einverleibt. Sie geht zur Hand. Ganz selbstverständlich übernimmt sie immer mehr Fürsorge und Aufgaben im Haushalt, während alle damit zurechtkommen müssen, dass es der HIV-positiven Martha (Lisa Owen) immer schlechter geht, sie in immer kürzeren Abständen wieder ins Krankenhaus muss.

Der wundersame Katzenfisch/ Los insólitos peces gato lautet der Titel des Films. Er prangt als Schriftzug auf einem Sticker an einem Aquarium, welches sich eine goldene Porzellan-Glückskatze und ein echter Goldfisch teilen. Man weiß nicht so genau, was das zu bedeuten hat, aber Marthas Jüngster Armando (Alejandro Ramírez Muñoz) freut sich über das Geschenk - und die Beiläufigkeit, mit der der Schriftzug auftaucht, entspricht vorzüglich dem Gestus des Films, der vieles einfach einmal so hinsetzt und dann beobachtet, ob etwas passiert.

Der wundersame Katzenfisch ist das Spielfilmdebüt der Mexikanerin Claudia Sainte-Luce, das bereits etliche Festivalauszeichnungen auf sich verbuchen kann. Es erzählt die Geschichte eines Abschieds, mit dem ein Neuanfang einhergeht. Zugleich hat die Geschichte, die sich weniger auf Sprache oder dramatische Handlung verlässt und vielmehr mit visuellen Symmetrien, Wiederholungen und Variationen spielt, aber auch ganz zart märchenhafte Züge: Claudia fällt der Familie gewissermaßen zu (und umgekehrt), sie und Martha sehen einander ähnlich, teilen nicht nur eine Vorliebe für Knabberzeug - Claudia erscheint dann fast wie eine wiedergefundene Tochter oder eine Reinkarnation.

Spürbares Naheverhältnis

Für die Herstellung dieses spürbaren Naheverhältnisses hat Sainte-Luce neben ihren Darstellerinnen auch eine Verbündete hinter der Kamera verpflichtet: Die Französin Agnès Godard, die man unter anderem für ihre Arbeiten mit Claire Denis oder Ursula Meier schätzt, fungierte als Director of Photography. Ihre Kamera schmiegt sich leicht an die Figuren an und macht dabei zugleich die Innenräume erfahrbar.

Relative Enge erzeugt weniger Beklemmung als Intimität. Wenn sich alle sechs Personen in der Wohnung der Familie aufhalten, ergeben die unterschiedlichen Einzelbewegungen manchmal fast eine kleine Choreografie der Auftritte und Abgänge. Wenn sich alle sechs in den gelben VW-Käfer quetschen, dann erinnert das an eine absurde Performance. Der Handlungsspielraum wird damit jedenfalls nicht kleiner. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 23.7.2014)