Brüssel – Europa hat in den vergangenen Jahren einiges an Speck angesetzt. Mit einem strengen Fitness-Plan will die EU-Kommission jene Länder mit dem größten Übergewicht an Schulden zum Abnehmen zwingen. Eine neue Studie zeigt nun: In der Vergangenheit hat es kaum jemand geschafft, die Kilos so schnell purzeln zu lassen, wie sich das die EU-Kommission vorstellt.
Konkret gibt die EU vor, dass Länder in 20 Jahren nur mehr Staatschulden in der Höhe von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung haben dürfen. Alles darüber muss weg. Österreich kommt heuer auf etwa 80 Prozent, der Abbau scheint hier realistisch. Griechenland aber steht bei etwa 177 Prozent, Italien bei 135 Prozent, Portugal bei 127 Prozent. Auf diese Länder beziehen sich Barry Eichengreen und Ugo Panizza unter anderem in ihrer Studie.
Ihr Urteil: Das wird sich nicht ausgehen. Die Krisenländer müssten nämlich über zumindest zehn Jahre viel mehr einnehmen, als sie ausgeben. Alle Länder außer Spanien brauchen einen Primärüberschuss (Einnahmen minus Ausgaben ohne Zinszahlungen) von über fünf Prozent. Griechenland braucht sogar über sieben Prozent.
Dass das nicht einfach ist, verrät den Ökonomen ein Blick in die Geschichte. So analysierten sie 54 Länder über die vergangenen 40 Jahre. Nur drei Mal habe es ein Land geschafft, über zehn Jahre ein Primärplus von fünf Prozent zu schaffen: Norwegen wegen Ölfunden, der Ministaat Singapur zur Ansammlung von Reserven (das Land hängt sehr stark vom Finanzsektor ab, was den Staat anfällig macht) und Belgien in den 1990ern mit hohem Druck, weil es sonst den Euro nicht hätte einführen können.
Drei Auswege
Nicht unmöglich, aber sehr unwahrscheinlich also. Wenn ein Staat mehr einnehme, steige nämlich auch der Druck der Wähler, schreiben die Ökonomen weiter. Beispiel Griechenland: Als sich die Lage der Staatskasse etwas besserte, wurden 525 Millionen Euro zusätzlich an ärmere Haushalte ausgeschüttet. Aber nicht nur die Wähler üben Druck aus: Wenn es wirtschaftlich nicht rund läuft, stocken die Steuereinnahmen und steigen die Ausgaben für Arbeitslose und Soziales.
Bis 2016 muss Italien alte Staatsschulden in der Höhe von 550 Milliarden Euro mit neuen Schulden zurückbezahlen. Fangen Investoren an daran zu zweifeln ob sie ihr Geld zurückbekommen, werde EZB-Präsident Mario Draghi gefordert, so die Ökonomen. Draghi hat 2012 ja angekündigt, alles zu tun, um den Euro zu retten.
Aber auch Draghi kann nur kurzfristig helfen. Wenn sich Staaten nicht aus ihren Schulden heraussparen oder -wachsen können, bleiben nur mehr drei Optionen, so die Autoren der Studie: Höhere Inflation, das Streichen der Schulden oder Subventionen von anderen Ländern. (Andreas Sator, DER STANDARD, 23.7.2014)