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Die Kunstsammlung von Präsident Viktor Janukowitsch ist im Kiewer Kunstmuseum zu sehen.

Foto: APA/dpa/Tim Brakemeier

Obwohl nur wenige Monate vergangen sind, scheinen die "revolutionären" Ereignisse des 22. Februar nahezu eine Ewigkeit her zu sein: Stunden nachdem Präsident Viktor Janukowitsch aus Kiew geflohen war, hatten Maidan-Hundertschaften an diesem Samstag auch sein außerhalb der Hauptstadt gelegenes Luxusanwesen Meschyhirja (Meschigorje) gestürmt. Das 140 Hektar große Areal war ob seiner fragwürdigen Finanzierung zum zentralen Symbol für ukrainische Korruption avanciert.

Janukowitschs kleines Reich, das wie eine neurussische Version von Versailles anmutet, hatte aber auch ästhetisch und künstlerisch einiges zu bieten: In seiner verlassenen 2500-Quadratmeter-Luxusprivatvilla fanden die Aktivisten hunderte Kunstgegenstände, die bereits wenige Tage später in das Nationale Kunstmuseum der Ukraine nach Kiew überstellt wurden und dort noch bis Ende Juli ausgestellt sind.

Die Präsentation der in Meschyhirja entdeckten Kunstgegenstände gilt indes als das derzeit eindrucksvollste und wohl wichtigste Ausstellungsprojekt des Landes. Zwar haben sich zuletzt zahlreiche ukrainische Künstler in dokumentarischen Arbeiten mit dem Maidan und seiner Vorgeschichte beschäftigt. Diese Kunstprojekte verblassen jedoch vor der Aufarbeitung eines Regimes, das sich durch seine ästhetische Grenzwertigkeit ausgezeichnet hatte. Aber auch der Krieg im Osten blieb künstlerisch bislang eher bedeutungslos. Dort, wo eine Kalaschnikow auftaucht, hätten kulturelle Initiativen keinen Sinn, erklärte bereits im Mai der ukrainische Autor Serhij Schadan.

Die Kiewer Schau mit dem Titel Codex Meschyhirja verweist zunächst auf jene Funktion, die Museen in Umbruchszeiten spielen können: Nach 1789 fanden königliche und kirchliche Kunstschätze ihren Weg in den Louvre, und nach der Oktoberrevolution waren die sowjetischen Museen jene Orte, an denen Kunst vor Zerstörung bewahrt werden konnte.

Aber auch Ende Februar 2014 hatten kunstaffine Aktivisten gerade aus Angst vor etwaigen Plünderungen eine schnelle Evakuierung der Kunstwerke aus Janukowitschs Residenz angestrebt. In der Eile hatten sie das leerstehende Erdgeschoß des Kunstmuseums in Kiew wie eine riesige Abstellkammer einfach vollgeräumt.

Die Ausstellungskuratoren, die Kritikerin Alisa Loschkina und der Künstler Oleksandr (Aleksandr) Rojtburd, haben freilich aufgeräumt und die mehr als 500 Objekte brav geordnet. Klassische museale Blockbuster à la van Gogh oder da Vinci, die man Janukowitsch durchaus zutrauen hätte können, fehlen. Und abgesehen von je einem Gemälde von Wasili Polenow und insbesondere von Iwan Aiwasowski, zwei russischen Künstlern des späten 19. Jahrhunderts, finden sich hier auch keine potenziellen Millionen-Euro-Schätze.

Teurer Prunk und Religion erweisen sich als zwei nahezu widersprüchliche Vorlieben des Ex-Präsidenten - Exponate dieser beiden Kategorien dominieren zahlenmäßig. So fanden sich einerseits in Janukowitschs Villa zahlreiche Objekte mit russisch-orthodoxem Hintergrund - Ikonen vor allem aus dem 17. und 18. Jahrhundert, rare Handschriften und frühe Bibeldrucke in kirchenslawischer Sprache. Andererseits setzte der Präsident mit Kandelabern, Tierskulpturen oder Vasen auf westeuropäische Kunst des 19. Jahrhunderts. In Summe entsteht der Eindruck eines geschmacklosen Eklektizismus sowie einer ästhetischen Inkompetenz, die durchaus mit dem offensichtlichen politischen Versagen des Politikers korrelieren dürfte.

Gleichzeitig dürfte es sich bei vielen Exponaten um hochpreisige Geschenke handeln. Dies wird insbesondere in jenem Saal deutlich, der dem "Idol" höchstpersönlich gewidmet ist. Die Ausstellung präsentiert dutzende, teils auch grauenhafte Janukowitsch-Porträts, etwa ein Gemälde des Moskauer Promimalers Nikas Safronow, aber auch Büsten, die dem Politiker schmeicheln sollen. Janukowitsch wird hier als Rennfahrer gefeiert, als großer Staatsmann im Stile des 19. Jahrhunderts dargestellt oder fungiert als vergoldete und mit "Das Symbol unseres Sieges" beschriftete Pokalfigur. Durch die Konzentration dieser Arbeiten auf engem Raum entsteht der Eindruck einer einzigen großen Persiflage, die von den Huldigern seinerzeit kaum intendiert gewesen sein dürfte.

Die Kuratoren verzichten in ihrer Präsentation auf Etiketten und zeigen die Werke großteils hinter Baustellen-Absperrungsbändern. Sie betonen damit, dass die Aufarbeitung der Ära Janukowitsch keinesfalls abgeschlossen ist. Insbesondere betrifft dies auch Codex Meschyhirja.

Denn während ein Gericht die Privatisierung des 140 Hektar großen Meschyhirje rückgängig gemacht hat und dieses einstweilen als informelles Museum der politischen Großkorruption öffentlich zugänglich ist, bleibt der rechtliche Status der ausgestellten Kunstobjekte - so bestätigt Museumsvizedirektorin Julija Waganowa - weiterhin ungeklärt: "Diese Frage muss jedoch von der Regierung und insbesondere vom Kulturministerium gelöst werden. Wir werden diesen Prozess jedoch initiieren." (Herwig G. Höller, DER STANDARD, 22.7.2014)