Christoph Chorherr: Urbane Zonen stärker ausbauen.

Foto: Matthias Cremer

Christoph Mayrhofer packt in seinem Kommentar "Warnung vor bestürzenden Neubauten" (DER STANDARD, 12./13. Juli) die ganz große Keule aus. Darin unterstellt er der von uns Grünen geführten Wiener Stadtplanung, sie würde bar jeder Expertise, mit unlauteren Mitteln, zum Nachteil der Menschen und zumindest unter Beugung des Rechts Entscheidungen treffen, die einzig der Gewinnmaximierung einiger weniger dienen. Ein härterer Vorwurf lässt sich kaum formulieren.

Man kann nur vermuten, dass es sich dabei um die vermeintlich notwendige Profilierung des frisch gewählten Kammerfunktionärs handelt, der am Beginn der Funktionsperiode einmal wortgewaltig auf den Tisch hauen möchte. Denn er verschweigt völlig die wohl größte Herausforderung der Stadt Wien: das aktuelle Wachstum der Wiener Bevölkerung. Allein innerhalb der letzten zwei Jahre ist Wien um rund 50.000 Menschen gewachsen, bis 2030 wird Wien noch einmal um die Einwohnerzahl von Graz wachsen. Wien erlebt derzeit an Flächenwachstum die größte Wachstumsphase seiner Geschichte.

Wie stark Wien wächst, spüren vor allem jene, die eine Wohnung suchen. Günstige Wohnungen sind rar. Unstrittig sollte sein, dass ein Ausweiten des Wohnungsangebots preisdämpfend wirkt.

Die grundsätzliche Haltung zur Stadtentwicklung, wie sie auch im Stadtentwicklungsplan beschlossen wurde, nämlich Siedlungserweiterung entlang bestehender Infrastrukturen, Wohnraumschaffung durch Bestandsentwicklung, Beibehaltung des hohen Grünanteils, werden in dieser grundsätzlichen Art von den meisten unterschrieben. Dort jedoch, wo sie konkret werden, werden sie heftig bekämpft.

Ein Beispiel dafür ist die von Mayrhofer kritisierte Umwandlung eines leerstehenden Multiplexkinos bei der Reichsbrücke in ein Wohnhochhaus. Eingebettet in eine Gruppe bereits bestehender Hochhäuser, unmittelbar neben der U1, unmittelbar am Wasser - hier halten wir es für sinnvoll, dass ein weiteres Hochhaus errichtet wird, statt diese Wohnungsanzahl am Stadtrand in die Fläche zu verteilen.

Und ja, in diesem Fall gehört dieses Grundstück einer privaten Unternehmergruppe. Ja, diese betreibt das Projekt mit der Absicht, einen Gewinn zu erzielen. Nun kann aber die Antwort darauf doch nicht sein, dieses Projekt, das all den oben beschriebenen Kriterien entspricht, nicht zu bauen, nur weil jemand einen wirtschaftlichen Gewinn daraus zieht. Deswegen sollen große Teile des Widmungsgewinns in Maßnahmen investiert werden, die wiederum allen zugutekommen. Sei es in Lärmschutz für bestehende Wohnungen, Mitfinanzierung von Kindergärten und Schulen oder Verbesserung der Freiraumqualitäten in der Umgebung.

Überall Widerstand

Außerdem bemüht sich die Stadt Wien auch sehr, an vielen Orten den Anteil des genossenschaftlichen, durch Gemeinnützigkeit preisgebundenen Wohnbaus möglichst groß zu halten. Aber auch bei derartigen Projekten gibt es viel Widerstand, auch dort wird von Spekulation und Baulobby geraunt. Unser Gegenargument, dass wir uns auch jenen verpflichtet fühlen, die Wohnungen suchen, wird nicht immer gern gehört.

Die effiziente Nutzung von erschlossenem Bauland verlangt vielfältige Strategien. So versuchen wir derzeit mit innovativen Bauträgern der enormen Flächenvergeudung des Einzelhandels - einstöckige Supermärkte, riesige Parkplätze - entgegenzuwirken und den Handel zu "urbanisieren"; also zu überbauen, verdichten und letztlich Platz zu sparen.

Die Baugeschichte Wiens zeigt immer wieder Maßstabssprünge in Phasen stärkeren Bevölkerungswachstums. Vom einstöckigen Biedermeierhaus zum fünfstöckigen Gründerzeithaus, vom freien Glacis zur Ringstraße, von den Feldern Transdanubiens zur heutigen Stadt. Jetzt, mitten in der expansivsten Phase der Wiener Stadtgeschichte, kommt es wiederum zu einem Wachstumsschub. Solche sind oft mit Wachstumsschmerzen verbunden.

Die Wiener Stadtplanung könnte es sich leicht machen. Weniger Bauland ausweisen, weniger dicht, weniger hoch, und so scheinbar Probleme vermeiden. Mit welcher Konsequenz? Die Wohnungspreise würden noch stärker steigen. Die Menschen wären noch mehr gezwungen, ins Umland auszuweichen und von dort mit dem Auto in die Stadt zu pendeln, statt innerstädtisch mit U-Bahn, Straßenbahn oder Fahrrad unterwegs zu sein. Als Grüner will ich diesen Weg nicht gehen. (Christoph Chorherr, DER STANDARD, 19.7.2014)