Die neue STANDARD-Artikelserie Heimat großer Töchter ist zu begrüßen: Sie macht Leistungen von Frauen sichtbar, die von der patriarchalischen Geschichtsschreibung durch die Jahrhunderte vernachlässigt bzw. unterschlagen wurden. Männer hatten kein Interesse daran, ein öffentliches Auftreten von Frauen - auf welchem Gebiet auch immer - zu würdigen. Schließlich gehörten Frauen ins Haus, zu den Kindern, zum Ehemann, den es zu unterstützen, zu fördern, zu inspirieren galt. "Der Muse reicht's", befindet die Künstlerin Iris Andraschek auf ihrem Gedenkstein im Arkadenhof der Universität Wien. Wobei genau genommen auch die Muse eine Ehrung verdient.
All die zahllosen Frauen, ohne deren ständige unterstützende Liebesarbeit es viele der "großen Söhne" gar nicht gäbe. Und zwar nicht nur jene Frauen, in deren Salons sich Künstler, Intellektuelle, Politiker ihre Anregungen holten, sondern auch jene, die nach wie vor mit unbezahlter Arbeit in der Familie, in der Pflege, in der Kinderbetreuung das Rückgrat unserer Gesellschaft bilden.
Aber wie gering diese Art von Arbeit nach wie vor eingeschätzt wird, zeigt sich an der miserablen Bezahlung, mit der "Frauenarbeit" nach wie vor abgespeist wird, weshalb es auch wenige männliche Kindergärtner oder Männer im Pflegebereich gibt.
Gleichzeitig sollte der vielen Frauen gedacht werden, die es in der Vergangenheit trotz meist enormer Widerstände geschafft haben, im politischen, künstlerischen, gesellschaftlichen Leben Bedeutendes zu leisten, und die immer noch in den Geschichtsbüchern nicht aufscheinen, die mühsam durch feministische Historikerinnen aus dem Dunkel der Geschichte befreit werden müssen. Immerhin standen ihnen erst seit gut hundert Jahren die Universitäten offen, wurde ihnen aufgrund eines angeblich kleineren Gehirns der nötige Intellekt abgesprochen und war ihnen bis zum Ende der Monarchie die Mitgliedschaft in politischen Vereinen verwehrt.
Mut und Ausdauer
Es bedurfte eines hohen Ausmaßes an Mut, Ausdauer und Intelligenz, diese Widerstände zu umgehen, zu brechen, zu bewältigen. Um die Jahrhundertwende etwa begannen Frauen sogenannte Frauenvereine zu bilden, um unter dem Mäntelchen der gerne gesehenen Wohltätigkeit auch politisch tätig zu sein. Sie haben begonnen, im Ausland zu studieren, solange das in Österreich nicht möglich war, wie etwa Helene von Druskowitz, die bereits 1878 mit 22 Jahren in Zürich zum Doktor der Philosophie promovierte. Die hochintelligente Frau, die zahlreiche philosophische Abhandlungen schrieb, wurde 1891 in die niederösterreichische Landesirrenanstalt Mauer-Öhling eingewiesen, wo sie weitere 27 Jahre bis zu ihrem Tod gelebt hat.
"Der Wahnsinn von Frauen ist weniger ein psychiatrisches oder individuelles als vielmehr ein gesellschaftliches Problem", meint dazu Sibylle Duda in ihrem Vorwort zu dem Buch Wahnsinns Frauen. Denn Druskowitz ist keinesfalls die einzige hochbegabte, die üblichen Vorstellungen von Weiblichkeit ablehnende Frau, die in einer psychiatrischen Klinik gelandet ist.
Frauengeschichte ist immer auch Leidensgeschichte gewesen, Frauen in Spitzenpositionen haben immer einen hohen Preis dafür bezahlt. Und sie zahlen einen Preis auch noch heute, von einer Frau, die eine verantwortungsvolle Position anstrebt, wird meist mehr verlangt als von einem Mann.
Was nottut, ist ein neuer Blick auf die Geschichte, ein Paradigmenwechsel, denn es lässt sich trefflich darüber streiten, worin die Größe eines Menschen besteht und ob eine Ute Bock zum Beispiel weniger Größe zeigt als der Erfinder irgendeiner noch so bedeutenden technischen Neuerung. Nehmen wir etwa die Erkenntnisse in der Atomspaltung, deren Gewinn durchaus zu hinterfragen ist. Übrigens waren auch an der Erforschung der Kernspaltung Frauen beteiligt, nämlich die Nobelpreisträgerin Marie Curie durch ihre Erforschung radioaktiver Substanzen und die bedeutende, in Wien aufgewachsene Kernphysikerin Lise Meitner.
Letztere hat sich später geweigert, einen Forschungsauftrag für die von Robert Oppenheimer entwickelte Atombombe zu übernehmen. (Interessantes Detail am Rande: Nachdem die ersten Tests erfolgreich verlaufen waren, meinte Kriegsminister Henry Stimson, die "Babys" seien "zur Zufriedenheit geboren" worden, glücklicherweise jedoch handle es sich dabei um "little boys" und "kein Mädchen, das heißt einen Blindgänger".)
Hymne muss Identität stiften
Frauen haben immer ebenso Geschichte geschrieben wie Männer, sie haben immer den gleichen Beitrag für das Funktionieren der Gesellschaft geleistet, und es ist ein Skandal, wenn sie in einer Bundeshymne einfach ausgespart, einfach nicht existent sind. Es kann die holprige Textgestaltung des Jahres 2011 bemängelt werden, es kann die Zerstörung alten Kulturgutes beklagt werden, aber hier geht es um mehr. Es geht darum, dass sich auch Frauen in einer Hymne auf das Land, das sie als ihre kulturelle Heimat begreifen, erkennen können.
Und wenn das durch die Änderung eines veralteten, den neuen, gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten nicht mehr entsprechenden Textes nicht möglich ist, dann muss eben ein neuer, auch für Frauen Identität stiftender Text geschaffen werden.
Das ist keinesfalls so nebensächlich, wie häufig behauptet wird, solange diese Hymne Symbolwert besitzt und inbrünstig bei diversen Anlässen gesungen wird. Wenn es tatsächlich nebensächlich ist, könnte sie ebenso gut abgeschafft werden. Das wäre auch eine Lösung. (Hilde Schmölzer, DER STANDARD, 18.7.2014)