Niemand wird behaupten, dass Vizekanzler Michael Spindelegger auf seinem ärarischen Nebengeschäftsfeld bisher Markantes zustande gebracht hätte, aber eines doch: Er hat mit seinem Eifer auf dem Gebiet einer Steuerreform den Koalitionspartner in einer Weise auseinanderdividiert, wie man das in einer Partei nicht für möglich gehalten hätte, deren Einzelteile politische Gegner einst gern mit dem Ruf schreckten, in proletarischer Disziplin zusammengeschweißt zu sein. Die "Wir haben es satt!"-Rufe der einen Fraktion gingen fürs Erste im "Pscht!" der Parteiobrigkeit unter, eine Dissonanz, die ein zartes und obendrein leicht manisches Gemüt wie den Neos-Chef Matthias Strolz zum Handeln zwang. Er konnte den Hader nicht länger mitansehen, und um ihn möglichst rasch zu beenden, verfiel er auf die Idee, man möge doch den Bundeskanzler mit einer Richtlinienkompetenz ausstatten.

Die Reaktion auf diesen Vorschlag, die am meisten überraschte, war die des Bundeskanzlers - er begrüßte ihn ausdrücklich, was man von jemandem mit einer verhaltenen Amtsführung, wie er sie bisher pflegte, nicht ohne weiteres erwartet hätte. Schamhafte Zurückweisung einer solchen Zumutung, das ja, sanftes Erröten ob dieses Vertrauens in bisher unbemühte Führungsqualitäten, ja. Aber dieser Machtrausch einer spontanen Bereitschaft, sich vom Chef einer Oppositionspartei den Cäsarenkranz eines Richtlinienerlassers aufs Haupt drücken zu lassen, kam doch unerwartet.

Der Bundeskanzler hat damit der Aufforderung des VP-Klubchefs Lopatka, "aus dem Keller" zu kommen, entsprochen, ehe dieser sie äußerte. Dessen sozialdemokratisches Gegenstück Andreas Schieder wollte über Strolzens Geniestreich auch möglichst bald zu diskutieren beginnen, aber wie es hierzulande schon geht - noch ehe die Diskussion beginnen konnte, ward sie vom Realitätssinn diverser Verfassungsrechtler abgewürgt. Ihre Expertisen ergaben letztlich, dass Strolz mit seiner Idee leider den Kairos verschlafen hat. Der richtige, ja einzig mögliche Augenblick für die Ausübung einer Richtlinienkompetenz wäre, wenn überhaupt, die Regierungsbildung, ist es doch der Bundeskanzler, der die Mitglieder der Regierung vorschlägt. Sind sie einmal vorgeschlagen und angelobt, tritt die Praxis der Richtlinienimpotenz in ihr Recht. Nicht selten schmerzhaft, wie am Beispiel der Steuerreform sichtbar wird.

Strolz muss man zugutehalten, er hat sich bemüht. Sein verzweifelter Ruf nach einem Instrument, mit dem sich die Verkrustung dieser Koalition aufbrechen ließe, müsste nicht ungehört verhallen, ginge es weniger um die Erlassung von Richtlinien als um die Ausstrahlung einer Kompetenz, die den hinhaltenden Widerstand gegen das Notwendige, im gegebenen Fall vor allem gegen eine Steuerreform, überzeugend als kontraproduktiv und schädlich für das Land auflösen könnte.

Mit der Verbreitung von Angst vor Neuwahlen wird das nicht gelingen. Diese zu fürchten, weil sie die FPÖ stärken könnten, geht am Problem vorbei. So bis 2018 weiterregiert, und sie ist sicher die stärkste Partei. (Günter Traxler, DER STANDARD, 18.7.2014)