Im Europa des 21. Jahrhunderts erfährt man vom Handy-Netzbetreiber, dass man eine Landesgrenze passiert hat. Um zwei Uhr morgens, irgendwo im norditalienischen Nirgendwo, wird eine Kundin per SMS auf Roaminggebühren aufmerksam gemacht. Kurze, schlaftrunkene Orientierung: Wo bin ich? Ach ja, im Zug, unterwegs nach Mailand. Schauen, was sich tut, ein halbes Jahr bevor dort die Weltausstellung 2015 beginnt.

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In der Galleria Vittorio Emanuele sind kaum Turnschuhträger unterwegs. Die wird man wohl erst 2015 auf dem riesigen Mailänder Expogelände zu sehen bekommen.
Foto: AP/Antonio Calanni


Vor- und Nachteile einer Zugreise

Und weil ja genug Zeit ist - 14 Stunden auf der Fahrt von Wien -, werden unterwegs ausführlich die Vor- und Nachteile so einer Zugreise erörtert. Kein ewiges Warten am Flughafen, keine Sicherheitskontrollen, Klimabilanz - eh klar. Dafür eben: die lange Fahrzeit im Vergleich zu knapp eineinhalb Stunden Flug. Und so ein Platz im Schlafabteil ist mitunter teurer als ein Flugticket.

Acht Uhr früh. Der freundliche Schaffner bringt das vorbestellte Frühstück ins Abteil, der Gardasee rauscht vorbei. Bei der Ankunft, morgens um halb zehn, offenbart sich ein weiterer Vorteil: Statt 46 Kilometern vom Flughafen zur Innenstadt trennen Bahnhof und Hotel nur zehn Minuten zu Fuß. Buongiorno, Milano!

Augenfällig für gelernte Wiener

Schnell wird klar: Es handelt sich um eine Stadt, die man sich erarbeiten muss; die nicht Punkte mit lieblichen Piazze sammeln will, nur weil sie als europäische Hauptstadt der Mode und des Designs glänzt. Die augenfälligste Attraktion sind wohl die Milanesi selbst: Wo kommen bloß all die schönen Menschen her?, fragt man sich als gelernte Wienerin.

Ein guter Ort zu ihrer unauffälligen Beobachtung ist die Galleria Vittorio Emanuele, jene herrliche Einkaufspassage aus dem 19. Jahrhundert, die den Domplatz mit der Piazza della Scala, dem Platz vor der Oper, verbindet. Und hier wird klar: Das ist auch keine Stadt, in der man in Turnschuhen außer Haus geht. Oder in der man für wenig Geld viel Mode bekommt.

Hoffen auf den Barcelona-Effekt

Rund 50 Zug-Minuten entfernt von Mailand liegt Turin, das lange Zeit touristisch überraschend unerschlossen war. Nun hofft man auf den Barcelona-Effekt: Kaum jemand aus Mitteleuropa interessierte sich für die katalanische Stadt, bis ihr für die Olympischen Sommerspiele 1992 eine Rundumerneuerung beschert wurde.

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Das Facelift anlässlich der Winterspiele 2006 umfasste in Turin auch eine radikale Verkehrsberuhigung der Innenstadt. Unvorstellbar, dass die nun weitläufigen Fußgängerzonen vor kaum zehn Jahren zugeparkt waren. Jetzt haben die Turiner Traditions-Kaffeehäuser hier ihre Schanigärten aufgebaut. Eine gute Gelegenheit für Bicerin, das örtliche Spezialgetränk: Oben Schlagobers, in der Mitte Espresso, unten dicke Schokolade. Aber Obacht - wer umrührt, outet sich sofort als Novize.

Alle 25 Jahre herzeigbar

Die Savoyen, die das Piemont fast ein Jahrtausend lang regiert hatten, waren es bekanntermaßen, die das angebliche Grabtuch Jesu Ende des 16. Jahrhunderts nach Turin brachten, wo es seither im Duomo di San Giovanni aufbewahrt wird. Nur alle 25 Jahre, so wurde verfügt, sollte die mysteriöse Reliquie ausgestellt werden. Doch es finden sich immer Gründe, den Pilgern zwischendurch einen Blick darauf zu erlauben: Etwa vom 19. 4. - 24. 6. 2015, anlässlich des 200. Geburtstags von Johannes Bosco, dem Gründer des Salesianer-Ordens.

Der gewöhnliche Gläubige kann sich schon jetzt im Internet für einen Slot in der Grabtuch-Besichtigungszeit anmelden, erwartet werden hunderttausende Touristen. In Mailand erwartet die Expo-Leitung im Jahr 2015 auch nicht gerade profane 20 Millionen Besucher - aber das ist kein Wunder bei einem Generalthema, das „Den Planeten ernähren“ lauten wird. Der gemeine Nachtzugreisende ernährt sich übrigens selbst auf dem Weg nach Italien gern von Gulasch und Würsteln, wie eine nicht-repräsentative Umfrage während der Fahrt ergab. (Elina Hardeg, Album, DER STANDARD, 19.07.2014)