Wer fest entschlossen ist, sich dieser Tage nicht mit heimischen Phantom-Burka-Trägerinnen oder hymnenkritischen Rock-'n'-Roll-Schändern mit Botox-Bierzelt-Schmäh zu beschäftigen, sondern mit ernsthafter Innenpolitik, hat es nicht leicht. Zum einen hat die Steuerdebatte ein Diskussionsniveau erreicht, bei dem die inhaltliche Auseinandersetzung durch bloße Widerrede ersetzt wurde, deren Ritualartigkeit an den legendären Monty-Python-Sketch Argument Clinic erinnert ("Yes, it is!" - "No, it isn't!"). Zum anderen fällt es angesichts der großkoalitionären Lähmung bei gleichzeitigem Totstellen der Opposition selbst den von lauterster Gesinnung bewegten Beobachtern immer schwerer, die wichtigste Fertigkeit für die Urteilsbildung nicht zu verlernen: die Kunst des Differenzierens.

Auf diese zu verzichten können wir uns aber nicht leisten. Wenn etwa ein als Konsumverweigerer verkleideter Wutbürger erklärt, nicht mehr bereit zu sein; "bei Wahlen das kleinere Übel zu wählen", muss klar gesagt werden, wem das am meisten nützt: dem größeren Übel. Weil man mit dem Fazit "san eh ollas Gauner" den tatsächlichen Gaunern die größte Freude macht, sollte man solche Pauschalurteile vermeiden. Doch das ist leichter gesagt als getan, denn dieser Forderung nach Enthaltsamkeit ist in Bezug auf österreichische Politik schon schwer zu entsprechen - bei anderen Themen erscheint sie nahezu unerfüllbar.

Zum Beispiel beim Weltfußballverband Fifa. Unter ihrem Präsidenten Joseph Blatter ist diese Organisation seit vielen Jahren in den verschiedensten Bereichen aktiv, unter anderem wird sie mit Bestechung, Geldwäsche, Dokumentenfälschung, Steuerhinterziehung, Untreue und Unterschlagung in Verbindung gebracht. Eine bemerkenswerte Bilanz für einen gemeinnützigen Verein, dessen Wirken durch einen bislang eher fragwürdigen Begriff auf den Punkt gebracht wird: Multikriminalität.

Doch halt. Nur weil man die Frage, ob das in Korruptionsskandale verwickelte Fifa-Exekutivkomitee weiter vom in Korruptionsskandale verwickelten Präsidenten Blatter oder vom in Korruptionsskandale verwickelten Vizepräsidenten Platini geleitet wird, mit "auch schon wurscht" beantworten kann, darf man auch in diesem Fall nicht verallgemeinern. Ganz bestimmt gibt es sogar bei der Fifa Anständige, die vermutlich von den korrupten Eliten in Geiselhaft genommen wurden. Ein unhaltbarer Zustand, zu dessen Beendung wir uns ein Beispiel am Vorgehen der Fifa selbst nehmen sollten. Diese hat es praktisch geschafft, in den Veranstalterländern von Weltmeisterschaften während der Turniere ein eigenes Staatsgebiet zu errichten, in dem die herrschenden Gesetze (Steuerpflicht, freier Warenverkehr, Einreisebestimmungen etc.) außer Kraft gesetzt sind. Sie agiert also wie eine Besatzungsmacht.

Unter diesem Aspekt erscheint es angemessen, die Fifa zu enteignen und ihre Zentrale in Zürich durch Friedenstruppen der Vereinten Nationen einzunehmen. Der humanitäre Charakter einer derartigen Mission wäre unzweifelhaft, ist sie doch als Geiselbefreiung zu bewerten, in deren Verlauf nicht nur etwaige unkorrumpierbare Fifa-Mitarbeiter befreit würden, sondern auch der Fußballsport an sich. (Florian Scheuba, DER STANDARD, 17.7.2014)