Der "Lounge Chair" (1956) von Charles & Ray Eames, hier als Vitra-Miniatur zu sehen, ist ein gern kopierter Klassiker.

Foto: Lukas Friesenbichler

Der Lounge Chair von Charles und Ray Eames kostet im Original bei Vitra 5770 Euro - ohne Hocker. Auf italiadesigns.co.uk gibt's das "Super Sonderangebot !! Reproduktion nach Charles E." um 899 Euro - mit Hocker. Der Laie dürfte kaum imstande sein, den Unterschied mit freiem Auge auszumachen.

Gehört das Bild der gefälschten Rolex, der gefakten Gucci-Brille und Prada-Tasche längst zum Strandurlaub wie der Stau auf der Autobahn, ist auch die Abkupferei im Möbelbereich lukrativ wie nie zuvor. Gefälscht wird, was das Stuhlbein hält, und der Anblick von Kriminalbeamten auf Möbelmessen, die Standgut aus vieler Herren Länder beschlagnahmen, ist keine Seltenheit mehr.

Boomendes Business

Begünstigt wird diese Entwicklung durch neue Materialien und Fertigungstechniken sowie den relativ schwer zu überwachenden und bequemen Betriebskanal namens Internet. Auch die wachsende Sehnsucht nach klassischen Entwürfen und Rekordauktionsergebnisse für Möbelikonen machen das Ideen- und Markenfladern zum boomenden Business.

Die steigende Nachfrage nach Klassikern wiederum basiert unter anderem auf der Entwicklung, dass diese immer mehr die Funktion eines Kunstwerks im trauten Heim übernehmen. Gleichzeitig helfen Namen wie Breuer oder Le Corbusier über weitverbreitete Geschmacks- und Stilunsicherheiten in Einrichtungsfragen hinwegzutäuschen. Man zeigt, was man hat, indem man präsentiert, worauf man sitzt, egal ob der Entwurf von einem zeitgenössischen Stardesigner à la Konstantin Grcic oder dem guten alten Alvar Aalto stammt.

Dieser Gedanke wirkt umso paradoxer, als es gerade oft kopierte Gestalter wie das Ehepaar Eames, eine Charlotte Perriand, ein Prouvé oder ein Wegner waren, die mit ihren Entwürfen danach trachteten, dem einfachen Mann einen guten Sessel unter den Hintern zu schieben. Keiner von ihnen träumte davon, dass ihre Möbel eines Tages zu Prestigeobjekten in verglasten Vorstandsetagen verkommen. Was also am Handgelenk und vor der Garage längst zum gängigen Da-schau-her-Protzobjekt wurde, lässt auch im Möbelbereich die Nachfrage steigen, und somit auch jene nach Fälschungen.

Handwerk legen

Auch für Eckart Maise, bei Vitra zuständig für Produkt, Innovation und Design, sind die Fakes ein Dauerthema, das massiv an Präsenz zugenommen hat. "Wir sind auf verschiedene Art und Weise aktiv, um dagegen etwas zu unternehmen. Wir bedienen uns einerseits juristischer Werkzeuge in Urheberrechtsprozessen oder Verhandlungen in Sachen unlauterer Wettbewerb. Aber auch die Kooperationsbereitschaft mit Online-Plattformen wie Ebay oder Google entwickelt sich positiv. In einem Fall konnten wir über Kreditkartengesellschaften verhindern, dass ein Fälscher sein Geschäft weitertreiben konnte."

Der Schaden, der Vitra durch Kopien entsteht, sei nicht leicht zu beziffern, sagt Maise, aber im Falle einzelner Entwürfe könnten es schon 25 Prozent des Umsatzes sein, die dem Produzenten in Form von Möbelklonen durch die Lappen gehen. Unterm Strich schätzt der Fachmann den Verlust auf einen zweistelligen Millionenbetrag. Bei allem Ernst der Lage weiß Maise allerdings ein fast amüsantes Detail zu berichten, so werden auch jene Möbel aus der Kollektion gefälscht, die nicht so gut laufen. Maise: "Woher wollen die denn auch wissen, was bei uns richtig gut geht."

40 Millionen rechtsverletzende Produkte im Wert von einer Milliarde Euro hat der EU-Zoll vor zwei Jahren an den Außengrenzen beschlagnahmt. 72 Prozent davon stammen aus China und Hongkong. Weltweit schätzt man den Warenwert, der jährlich mit gefälschten Produkten umgesetzt wird, auf 600 Milliarden Dollar, allein in Deutschland kostet derlei Piraterie pro Jahr an die 70.000 Jobs. In Österreich wurden im vergangenen Jahr 98.440 Produkte beschlagnahmt. Gefälscht wird vom Handy bis zur ganzen Fabriksanlage. Auch tauchen Fakes mittlerweile in einer immer größer werdenden Menge von Preis- und Qualitätsabstufungen auf, so wurde zum Beispiel eine Dornbracht-Armatur von einem chinesischen Designdieb kopiert und um ein Zwanzigstel des Originalpreises auf den Markt gebracht. Delikater Zusatz: Im Fake waren billigste Bleirohre eingesetzt. Ebenfalls in China ging man gegen ein Möbelhaus vor, das angeblich von unten bis oben wie eine Ikea-Filiale aussah, Ähnliches kann man über Apple-Stores nachlesen, von denen bei Apple keine Maus etwas wusste.

Böser Zwerg

All diese Zahlen kennt man bei Designaustria und dem deutschen Verein Plagiarius. Im Rahmen einer Kooperation zeigen die beiden derzeit die Ausstellung "Original vs. Fälschung" im Designforum Wien im Museumsquartier. 50 Originalprodukte werden dort mit ihren kopierten Gegenstücken ausgestellt, vom Möbel bis hin zur Rodel oder Alufelge.

Die "Aktion Plagiarius" spürt seit 1977 derlei falsche Fuffzger nicht nur auf, sondern vergibt jährlich auf der Frankfurter Messe "Ambiente" eine Hitliste mit den dreistesten Fälschungen. Symbolisch vergeben werden schwarze Zwerge mit einer goldenen Nase, die sich die Plagiatoren auf Kosten von Designern und Markenherstellern verdienen.

Auf die Frage, wie man eine Fälschung definiert, antwortet Christine Lacroix, die Geschäftsführerin von Plagiarius: "Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen Plagiaten und Fälschungen. Erstere kupfern das Design und die Technik ab, um diese als eigene Leistung auszugeben und unter eigenem Namen zu verkaufen. Zweitere klauen den renommierten Markennamen des Originalherstellers gleich mit." Auf die Frage, was schlimmer sei, meint Lacroix: "Beides ist dreist, allerdings ist es im Falle der Fälschung für den Richter oft einfacher, eine klare Entscheidung zu treffen". Apropos Justiz: Geht es nach Lacroix, sind die Strafen und somit die Abschreckung noch immer relativ gering, Gefängnisstrafen würden so gut wie gar nicht exekutiert, trotz der Tatsache, dass die Fälschungen teils hohe Sicherheitsrisiken bergen und die Profitmargen der Fälscher immens seien.

Etwas zu fälschen und in den Handel zu bringen ist das eine - so ein Ding zu kaufen etwas anderes. Durch die zunehmende Qualität so mancher Fälschung - von manchem Klassiker sind bis zu 50 verschiedene Plagiatsentwürfe im Umlauf - schlägt so manch einer zu, dessen Brieftasche zu schmal ist, um etwa 5330 Euro für Hans J. Wegners Chinastuhl hinzublättern. Und das gilt für viele Brieftaschen. So schön das Möbel anzusehen ist, so perfekt es verarbeitet wird, es ist und bleibt ein Stuhl.

Wie sieht es also mit einer Portion Verständnis für den Kauf eines gefälschten, aber leistbaren Stücks aus? Außerdem: Hand aufs Herz, wer hat noch nie einen Blick auf die auf Handtüchern ausgebreiteten Rolex-Fakes geworfen? Eckart Maise von Vitra: " Was wir nicht tun, ist gegen den Endverbraucher vorzugehen. Ich hab sogar schon im entfernten Bekanntenkreis die eine oder andere Kopie ausmachen können. Klar gibt's in Sachen Budget ein gewisses Verständnis, aber wenn es in weiterer Folge um Serviceleistungen geht, dann hört sich das Verständnis natürlich auf, ganz zu schweigen von den Arbeitsbedingungen, unter denen der eine oder andere Fälscher produziert. Letztlich geht jede Fälschung am Ende zulasten des Kunden." Einen nicht unähnlichen Schlusston trifft Louis Armstrong, der einmal sagte: "Wie oft ist die Mona Lisa schon kopiert worden. Und trotzdem stehen die Leute nach wie vor Schlange, um sich das Original anzusehen." (Michael Hausenblas, Rondo, DER STANDARD, 18.7.2014)