Der Stellenwert onkologischer Rehabilitation steigt. "Aus mehreren Gründen ist die Rolle der Neurologie mit spezialisiertem neuroonkologischem Wissen im Zunehmen", sagt Wolfgang Grisold, Neurologe am Kaiser Franz Josef Spital und Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie anlässlich des "Europäischen Jahres des Gehirns". Die Neuroonkologie beschäftigt sich mit Krebs-Erkrankungen des Nervensystems.
Viele Wechselwirkungen
Es gibt eine Reihe von Wechselwirkungen zwischen Tumoren und dem Nervensystem: Krebsleiden können das zentrale (Gehirn, Rückenmark) oder periphere Nervensystem (Nerven, Muskel) zu verschiedenen Zeitpunkten befallen. Das kann zu Rückenschmerzen, Lähmungen, lokalen Schmerzen, Kopfschmerzen, epileptischen Anfällen oder diffusen neurologischen Ausfällen führen. Andere Wechselwirkungen können durch hormonelle Auswirkungen, Medikamenten-Nebenwirkungen, Infektionen oder Tumorfernwirkungen im Sinn von "paraneoplastischen Syndromen", auftreten. Bei diesen kommt es zu neurologischen Symptomen, die durch vorwiegend immunologische Tumorwechselwirkungen bedingt sind und zu schweren Beeinträchtigung führen können.
"Gemessen an der Häufigkeit sind die Auswirkungen der Krebs-Therapien im Sinne von Neurotoxizität am wichtigsten, also des schädigenden Einflusses einer Substanz auf Nervengewebe", sagt Grisold. Der Begriff "Chemobrain" beschreibt diffuse, meist psychoorganische Veränderungen, die möglicherweise als Spätfolge der Chemotherapie einzustufen sind. Diese Krankheitsgruppe werde noch kontroversiell diskutiert.
Häufige Nebenwirkungen
Nebenwirkungen von Chemotherapien am peripheren Nervensystem sind häufig und verursachen Polyneuropathien. "Einige Substanzen führen meist nach mehreren Chemotherapie-Zyklen zu Gefühlsstörungen, manchmal Schmerzen und Beeinträchtigung der Geschicklichkeit mit Funktionseinschränkungen", sagt Grisold. Die Bedeutung wächst mit verbesserter Chemotherapie und steigt mit der Zahl der Langzeit-Überlebenden an. "Besonders störend ist das 'Coasting'. Dabei kommt es nach Absetzen der Chemotherapie noch für Wochen oder Monate zu einer Zunahme der Polyneuropathie-Symptome", so Grisold.
Auch bei der Strahlentherapie, die als sehr wirksame Therapie in fast allen Tumortherapien eingesetzt wird, können kalkulierbar und dosisabhängig vorwiegend späte Komplikationen auftreten, die von Tumorrezidiven ("Rückfällen") abgegrenzt werden müssen. "In den letzten Jahren hat ein spürbarer Paradigmenwechsel in Bezug auf den Zugang zur onkologischen Rehabilitation stattgefunden", sagt der Experte.
Mehr Selbstständigkeit
Diese beruhe nicht nur auf besseren Therapiemöglichkeiten und verlängerten Überlebenszeiten, sondern auch darauf, vorhandene Fähigkeiten bestmöglich zu verbessern, um Patienten Selbständigkeit und optimale Lebensqualität zu ermöglichen. Bei der Therapie der zu behandelnden neurologischen Symptome steht die Schmerztherapie im Vordergrund. "Auch die Rolle der Neurologie in der Palliativmedizin nimmt zu. Beispiele sind Zunahmen von neurologischen Komplikationen bei längerem Überleben von Tumorpatienten, wo neurologische Expertise gefragt ist", sagt Grisold.
Bei der ambulanten Versorgung von Patienten hat sich gezeigt, dass durch spezialisierte Pflegepersonen verbesserte Möglichkeiten für die Patienten- und Angehörigenbetreuung möglich sind. Onkologisch geschulte Pflegepersonen decken die praktischen Aspekte von Pflege bis zur sozialen Versorgung ab. Dieses Modell wird, besonders in Holland, von speziell geschulten Case Managerinnen durchgeführt. Auch in Grisolds Ambulanz hätte sich ein solches Modell bewährt, so der Experte. (red, derStandard.at, 14.7.2014)