Blaubart Andrea Silvestrelli und Marianna Szivkova.

Foto: Nawrath

Erl - Noch bevor nur ein wenig ostwärts die Salzburger Festspiele spirituell eröffnet werden und im nahen Westen Mozarts Zauberflöte die Massen anzieht, preschen die Tiroler Festspiele Erl vor und legen schon mal los: Auf das Betreiben von Gustav Kuhn, dem leidenschaftlichen Dirigenten und Regisseur, werden hier seit 1998 im Passionsspielhaus Konzerte und Opern gespielt - sehr oft welche von Wagner, ab und zu sogar der Ring des Nibelungen.

Diesen Sommer ist es mal wieder so weit. Und anlässlich des 70. Geburtstags von Hans Peter Haselsteiner, des Mäzens und Präsidenten der Festspiele, wird auch noch der originale Erler 24-Stunden-Ring gestemmt. Haselsteiner, Kuhns König Ludwig II., hat dem Gesamtkunstwerker mit dem wagnerianischen Sendungsbewusstsein vor nicht allzu langer Zeit ein nigelnagelneues Festspielhaus in den grünen Hügel von Erl gebaut. Wie ein kühnes Raumschiff ragt der schwarze, scharfkantige Bau von Delugan Meissl Associated Architects in die Landschaft: eine mutige Kampfansage an das potemkinsche Dirndltheater, das den Touristenscharen im alpinen Raum sonst zumeist geboten wird.

2012 wurde das Haus erstmals bespielt. Und bevor es am Wochenende mit dem Ring im Passionsspielhaus losgeht, wurde im Festspielhaus erst einmal die Eröffnungsoper der ersten Wintersaison wieder gezeigt, Béla Bartóks Herzog Blaubarts Burg. Die Musik des 1911 komponierten und 1918 uraufgeführten Einakters ist ja so toll: üppig, drastisch, sinnlich, dramatisch; wie vom Salome/Elektra-Strauss inspiriert, den effektsicheren Strawinsky vorwegnehmend ... Tito Ceccherini (Gustav Kuhn lässt jetzt im Orchestergraben sukzessive auch Junge ran) leitet die Unternehmung äußerst kenntnisreich und versiert, setzt mit dem Festspielorchester fast das ganze Kaleidoskop der Stimmungen um, die Bartók hier schildert.

Andrea Silvestrelli ist ein idealer Blaubart, bedrohlich und etwas verlebt, sein mächtiger Bariton hat ein fassiges Timbre mit leicht spröd-porösen Rändern; stark und klar der Sopran von Marianna Szivkova. Die von ihr verkörperte Judith ist ja im Libretto von Béla Balász ein trotz ihrer Hörigkeit äußerst dominantes Persönchen, welches das Lohengrin'sche "Nie sollst du mich befragen"-Postulat Blaubarts gleich sieben Mal durchbricht ...

Jung und langbeinig

Die meisten Erklärungen des Stoffs deuten die sieben versperrten Türen in Blaubarts Burg als die innersten Seelenkammern der verschlossenen Hauptfigur; Regisseur Kuhn lässt die abgesperrten Welten von jungen, sehr langbeinigen Frauen verkörpern, deren Look (Kostüme: Lenka Radecky) an leichte Mädchen erinnert und deren Gang an Kandidatinnen, die schon in der Vorauswahl von Germany's Next Topmodel rausgeflogen sind. So seien jedem seine persönlichen Obsessionen gegönnt. Nach dem Blaubart heißt es dann rüberflanieren ins Passionsspielhaus, hier sind die Carmina Burana zu hören.

Gut zwei Jahrzehnte nach Bartóks zukunftsweisender Oper entstanden, evoziert Carl Orff in seiner Vertonung von mittelalterlichen Liedtexten eine musikalische Vergangenheit, die so nie existiert hat, deren zeitlos-archaische Theatralik und Sinnlichkeit aber bis heute in den Bann zieht (und auch super mit der rohen Kraft des Innenraums des Passionsspielhauses korrespondiert). In Kuhns Dirigat wechselt eine entspannte James-Last-Lässigkeit mit impulsiver Verve; der Lebemann liebt das Saftig-Wilde, das Sinnlich-Vitale dieser Musik augen- und ohrenscheinlich.

Kraftvoll Michael Boders Bariton, couragiert Markus Herzog, der sich als gebratener Schwan im halsbrecherischen Olim lacus colueram dem Verspeisen entgegensingt. Bei dem von Anna Princeva gesungenen In trutina schließen dann sogar einige Mitglieder des Orchesters die Augen: Balsam de luxe. Vor allem mit musikantischer Tanzfreude begeistert der Klangkörper, vital und exakt der Festspielchor, süß der Tölzer Knabenchor. Der Wagner kann kommen. (Stefan Ender, DER STANDARD, 14.7.2014)