Für Nuccio Bertone war Design nicht nur Musenkunst, sondern auch Geschäftsmodell.

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Stratos Zero

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Lancia Stratos HF

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Fiat X1/9

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Bis zum Schluss bot das Haus Entwürfe an, etwa Aston Martin 2013 den Jet 2+2.

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Das Design des Lamborghini Miura zählt sowieso zu den ewiggültigsten.

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Bei Lancia in Turin staunten sie nicht schlecht, als ein archaischer Keil um die Ecke bog, kurzerhand unterm Schranken der Werkseinfahrt durchglitt und - spontaner Applaus von den Arbeitern - im Hof Position bezog. Dem futuristischen Flachmann entstieg Giuseppe Bertone, Rufname "Nuccio", der Padrone der Gruppo Bertone. An diesem Tag im Jahr 1970 war der Meister gekommen, um Lancia die Zukunft zu verkaufen.

Die Turiner konnten nach dem spektakulären Auftritt gar nicht anders, als zuzugreifen. Schließlich war Bertone damals einer der Prinzipale des italienischen Automobil-Designs. Sein Mitbringsel, der Stratos Zero, sollte die Blaupause für den später so erfolgreichen Rallye-Keil Stratos HF geben und den Ruf der nahe Turin beheimateten Stilistik-Schmiede und ihres Chefs mehren, der als einer der größten, prägendsten Designer in die Automobilgeschichte eingehen sollte.

Doch Nuccio Bertone, der vor 100 Jahren, am 4. Juli 1914, in Turin zur Welt kam, war nicht bloß ein Blech-Couturier, er verstand es auch wie kein anderer, Design nicht nur als Musenkunst, sondern als Geschäftsmodell zu verstehen.

Schöngeist und Sturschädel

Ab Anfang der 1950er baute der ehemalige Rennfahrer, der 1933 in die Carrozzeria seines Vaters eingestiegen war, unter dem Dach seiner Gruppo Bertone eine komplette Entwicklungs- und Produktionskette auf: Vom Design über den Bau von Klein- und Kleinstserien sowie die Entwicklung von Fertigungsanlagen bis hin zum Werkzeugbau - all das boten die Italiener. Dankbar griffen die Kunden zu: Lamborghini, Ferrari, Alfa Romeo, Fiat, Citroën, Opel, Volvo oder General Motors ließen sich ihre Modelle einkleiden oder für sie unrentable Kleinserien, Cabriolets meist, nahe Turin fertigen.

Studie Alfa Romeo BAT 5 (1953)
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Doch die Kernkompetenz des Familienunternehmens blieben die Kreationen des Designstudios Stile Bertone, die Nuccio zwar mit harter Hand führte - der Chef zählte neben Ferruccio Lamborghini und Enzo Ferrari zu den begnadeten Sturschädeln der Szene -, wobei er gleichzeitig jedoch ein gutes Händchen für herausragende Designtalente hatte. Giorgio Giugiaro, Marcello Gandini oder Franco Scalgione gingen ab 1954 und mit dem Start des ersten großen wirtschaftlichen Erfolgs, der von Alfa Romeo beauftragten Giulietta Sprint, durch Bertones Hände.

Der ließ seinen Jungstars reichlich Freiraum, um sich zu entfalten, und überließ ihnen, im Gegensatz zu seinem Dauer-Rivalen Sergio Pininfarina, Ruhm und Ehre. Der Meister hingegen gab sich nach außen hin bescheiden: Er ändere an den Skizzen bestenfalls ein paar Striche, meinte er einmal. Koketterie, allenthalben.

Nuccio war derjenige, der einen guten Ansatz in wegweisende Stilistik verwandelte oder einfach einer schrillen Idee freien Lauf ließ, die eine neue Epoche einleiten sollte. Dabei vermied es Bertone geschickt, bloß eine formverliebte Italianità zum Diktum zu erheben. Spätestens ab den 1960ern oszillierte das Studio zwischen Schöngeist und Irrwitz, Letzteres mit klarem Zug Richtung Brutalität. Während Pininfarina den Super-Ästheten gab, reduzierte Bertone seine Entwürfe mitunter auf die schlichte Argumentationskraft eines Faustschlags: Alfa Romeo Canguro und Carabo waren Marksteine, einfach nur endgültig der fundamentale Lamborghini Countach von 1974. Bloß schön ging aber auch, siehe das maßgebliche Supercar des 20. Jahrhunderts: Lamborghini Miura.

Abseits des Exklusiven befriedigte das Haus mit Fiat X1/9 oder dem 850 Spider von 1965 den Bedarf nach Leistbarem, bis in die 1980er herauf gelang es den Italienern, ihre Entwürfe - Citroën BX und XM, den BMW-Roller C1 - bei den großen Herstellern unterzubringen.

Voll keil auch: Lamborghini Countach
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Ende der Zukunft

Doch spätestens mit dem Tod des Patriarchen im Jahr 1997 ging es mit dem Unternehmen bergab. Dank neuer Fertigungstechniken konnten nun auch die Großen kleine Stückzahlen unterbringen, die Stars der Designszene wie auch die Jungspunde heuerten nun direkt in den Studios der Hersteller an. Kein Platz mehr für einen Nischenplayer wie Stile Bertone. Anfang Mai dieses Jahres krachte das Unternehmen endgültig zusammen. Bertone, dem Meister der Zukunft, war die Zukunft ausgegangen. (Stefan Schlögl, DER STANDARD, 11.7.2014)