Norbert Röttgen steht schwitzend im Scheinwerferlicht, in einem zu kleinen, zu heißen Raum der deutschen Botschaft in Washington, und spricht von fehlender Schadenswahrnehmung. Was die beiden Spionagefälle angerichtet hätten, dafür gebe es in den in den USA noch immer kein realistisches Gefühl, weder bei Abgeordneten noch in den Medien, sagt der CDU-Politiker. "Wir können keinen Hinweis mit nach Hause nehmen, dass sich in der amerikanischen Politik, in der Kommunikation gegenüber Deutschland etwas ändert."

Es müssen schwierige Gespräche gewesen sein, jedenfalls versuchen die Obleute des Auswärtigen Ausschusses des deutschen Bundestages erst gar nicht, die Lage schönzufärben. Am Mittwoch stand eine Unterredung im State Department auf dem Programm, danach ein Treffen mit Robert Menendez, dem Chef des Außenpolitik-Komitee des Senats. Am Dienstag hatten die Deutschen mit Dianne Feinstein geredet, der 81-jährigen Senatorin aus Kalifornien, die einst fast alles verteidigte, was der Spionageapparat tut, aber seit der Causa Edward Snowden zusehends auf Distanz ging, zumindest zur NSA mit ihrer Lauschoffensive.

Feinstein sei schockiert gewesen über den angerichteten Schaden, glaubt Röttgen erkannt zu haben. Insgesamt aber lasse nichts darauf schließen, dass in Washington eine Debatte darüber beginne, ob und wie weit geheimdienstliche Programme eingestellt oder korrigiert werden müssten, zog der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses ein nüchternes Fazit. Sehr dominant sei vielmehr das Selbstverständnis der  Geheimdienste, "nach dem Motto, wir spionieren doch alle, habt euch nicht so".

Sorge um deutsch-amerikanisches Verhältnis

Noch deutlicher formuliert es Marieluise Beck, die führende Grüne des Gremiums. "Ich bin sehr besorgt über die Zukunft des deutsch-amerikanischen Verhältnisses", betont sie. Einerseits brauche man die deutsch-amerikanische Verbindung dringender denn je, nicht zuletzt angesichts der Gefahr, dass mit der Ukraine-Krise der Krieg nach Europa zurückzukehren drohe. Andererseits gebe es in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung den Verdacht, dass die US-Spionage nicht nur einen Vertrauensbruch darstelle, sondern "fast schon Betrug an einer freundschaftlichen Beziehung".

Was der zunehmend kritische Blick der Deutschen auf die Vereinigten Staaten an außenpolitischen Folgen bedeuten könnte, dafür seien die Antennen in Washington "nicht so fein, wie wir uns das wünschen würden". Eindeutig im Vordergrund, so Beck, stehe nach wie vor das Argument der Terrorabwehr: "Das Risiko, dass etwas passiert und es wird gefragt, wo waren die Dienste, dieses Risiko ist niemand zu tragen bereit".

Amerikanische Medien wiederum spekulieren darüber, wie weit nach oben die Informationen über die Agenten in Deutschland überhaupt gingen, ob die Politik überhaupt Bescheid wusste oder aber komplett im Dunkeln tappte. Nach einer Variante, vermutet die "New York Times", könnte der CIA-Resident in Berlin das Wissen um die Quelle beim Bundesnachrichtendienst gar nicht erst weitergegeben haben an die Zentrale seiner Behörde in Langley. Nach einer zweiten war CIA-Chef John Brennan zwar unterrichtet, hielt es aber nicht für nötig, das Oval Office zu informieren. Im Weißen Haus, schreibt die Zeitung, frage man sich voller Frust, wieso die Regierungszentrale nicht eingeweiht war, bevor der 31 Jahre alte BND-Beamte aufflog. Der Verdacht, dass die Schlapphüte ein Eigenleben führen, losgelöst von allen politischen Erwägungen – er steht sehr zentral im Raum.

Dass Obama nichts wusste, hält Marieluise Beck für ziemlich wahrscheinlich. Sie sei überhaupt nicht mehr überzeugt davon, "dass der Präsident selber die Autorität hat in seinem eigenen Haus, dass klar ist, hier läuft nichts, wovon er nichts weiß." (Frank Herrmann aus Washington, derStandard.at, 9.6.2014)