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Jogi Löw tröstet den Kollegen Luiz Felipe Scolari, der eben durchs deutsche "Jogi bonito" die Höchststrafe dafür erhalten hat, dass er Brasiliens "joga bonita" zweckentfremdet hat.

Foto: REUTERS/Marcos Brindicci

Wien / Belo Horizonte - Das muss einer erst zusammenbringen: Schneidest den fünffachen Weltmeister im eigenen Land in sieben fein gewogene Stücke, und wenn du dann gefragt wirst, wie es dir dabei ergangenen ist, ist das Einzige, das dir einfällt: "Ein bisschen Demut ist jetzt auch ganz gut." Das ist nicht höhnisches Understatement. Das ist Joachim Löw, wie er leibt, lebt und redet. Und das tragen, nein trugen, sie ihm daheim - wo das piefkische Protzen schon noch Platz hat da und dort - ein bisschen nach.

Aber so - so untriumphalistisch - sind sie alle, die deutschen Kicker, die man mittlerweile auch die "goldene Generation" nennt. Und zwar nicht deshalb, weil sie irgendwann schon Gold geholt hätten, so wie einst die "arany csapat", das goldene ungarische Team bei Olympia 1952. Jene Mannschaft, die in ihren Grundfesten schon bei der Heim-WM 2006 anfing zu reifen, zeigte mehr als bloßen Erfolg.

Deutschland, jener europäische Riese, der sich zuweilen selber noch nicht ganz geheuer ist, hat sich dem schönen Spiel zugewandt, etwas, das den DFB-Kickern niemand zutrauen wollte. Nicht einmal die selber.

Jürgen Klinsmann, der jetzige US-Coach, der diese Wende eingeleitet hat, erklärte das "Jogi bonito" mit Gedanken, die weit übers eng Ballesterische hinausgehen. "Die Deutschen sind stets als sehr ernstes Volk angesehen worden: ,Arbeit, Arbeit, Arbeit'. Aber alle haben 2006 verstanden, dass die Deutschen auch Feste feiern, glücklich sein und lachen könnten. Diese WM war der Moment, sich als Nation zu zeigen."

Ton der Harmlosigkeit

Auf den EU-Gipfeln, den Meetings zu Euro-, Banken-, Krimkrisen und in der Mobiltelefonie mag das Gesicht dieser Nation Angela Merkel sein. Bei allen anderen Angelegenheiten überlagert sich das aber schon mit dem Gesicht von Jogi Löw. Tatsächlich repräsentieren beide etwas frappant Ähnliches: die unerbittliche Wucht des Stärkeren im Ton einlullender Harmlosigkeit.

In der Griechenlandkrise hat man über das schwäbische Hausfrauentum der in Berlin (Ost) groß gewordenen Kanzlerin gespottet. Nun wortreichst über den Schwarzwälder, der - den Schwaben wie Klinsmann darin nicht unähnlich - die Welt in einem Tonfall erklärt, als bewegte er dabei einen abgelutschten Kirschkern auf der Zunge.

Bei beiden ist das wahrscheinlich ein Stilmittel. Sie suggerieren - darin wiederum Robben beim Elferschinden nicht unähnlich - blanke Arglosigkeit. Experten - deren Funktion darin besteht, dass sie reden, was ihnen halt grad einfällt, weil es im Gebrumm der medialen Maschinerie eh wurscht ist, was sie sagen - können sich übers Einsatzgebiet von etwa Philipp Lahm echauffieren. Merkel-Löw stellen diesbezüglich die Wände einer Gummizelle dar. Das ist erhellend nicht nur für die Charaktere der beiden, sondern auch für den Debattenmechanismus, der zuweilen ja auch gerne ein paar Beaufort mehr zulegt in der Shitstorm-Stärke.

Löw - und sicherlich auch Merkel - tun da etwas, was den Schnittlauchen auf allen Meinungssuppen am zuwidersten ist: Sie liefern handwerklich saubere Arbeit und ziehen daraus - besonders ärgerlich - ihre Seelenruhe. "Ich bin froh", erklärt Löw, "dass ich mein Selbstwertgefühl nicht aus dem Fußball ziehe".

In den steckt er nur jede erdenkliche Arbeit. Seit Jahren etwa analysiert ein rund 40-köpfiges Wissenschaftlerteam an der Sporthochschule Köln alle möglichen WM-Gegner bis ins letzte Detail. Ihr Chef, der Schweizer Urs Siegenthaler, erklärt: "Meine Aufgabe ist es, den Bundestrainer über die Entwicklungen im Fußball und im Sport generell auf dem Laufenden zu halten. Wohin führt der Weg? Was kommt auf uns zu? Ziel ist es, nicht überrascht zu werden."

Löw und sein Team brechen die Wissenschaft auf die Feldtauglichkeit herunter. Im Wissen allerdings, dass das hehre Ziel nie zu erreichen ist. Denn es geht ja um Fußball, in dem es bekanntlich nicht nur um Leben und Tod geht. Sondern auch darum, dass am Ende die Deutschen gewinnen. (Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, 10.7.2014)