"Ich versuche immer noch Neues zu lernen." Hans Tuppy am Department für Medizinische Biochemie, wo er nach wie vor ein Büro hat.

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Wien - Ehe man seinen etwas versteckten Arbeitsplatz am Department für Medizinische Biochemie im Vienna Biocenter erreicht, muss man erst einmal an etlichen Laboratorien vorbei, in denen junge Biochemikerinnen und Molekularbiologen ihren Forschungen nachgehen. Sein kleines Büro hat die Nummer 3.618, auf dem Türschild steht schlicht Hans Tuppy - unter Weglassung aller akademischen Titel.

Dabei hat wohl kein anderer Wissenschafter in Österreich neben dem Dr., dem Prof. und einigen Ehrendoktoraten mehr Titel getragen und wichtige Ämter bekleidet als der renommierte Biochemiker. Er war nicht nur ordentlicher Professor (also Ordinarius), sondern auch Dekan (" Spektabilis"), Rektor ("Magnifizenz") und Präsident sowohl des Forschungsfonds FWF wie auch der Akademie der Wissenschaften. Und als bis heute einzige Naturwissenschafter nach 1945 war Hans Tuppy auch österreichischer Wissenschaftsminister.

Aus der Politik hat sich Hans Tuppy seit langem zurückgezogen. Der Wissenschaft ist der hellwache Emeritus im Unruhestand hingegen treu geblieben: Tuppy verfolgt nicht nur die aktuelle Forschung in seinem Fachbereich, die er nach wie vor für faszinierend hält, er versucht auch, "immer noch Neues zu lernen". So schwärmt er gleich zu Beginn des Gesprächs vom Durchbruch der Epigenetik, den er für den jüngsten "entscheidenden Wandel" in den Biowissenschaften hält.

Frühe Politisierung

Am 22. Juli 1924 in Wien geboren, wuchs Tuppy in einer gutbürgerlichen Juristenfamilie auf, in der die Politik früh dramatisch präsent war: Sein Vater Karl war nach dem Mord an Engelbert Dollfuß vor 80 Jahren Ankläger im Prozess gegen die nationalsozialistischen Täter, wurde nach dem "Anschluss" verhaftet und am 14. November 1939 von den Nazis im KZ Sachsenhausen ermordet.

Dass er als junger Chemiestudent sofort nach Kriegsende selbst studentenpolitisch tätig wurde, sieht Tuppy im Rückblick als "Verpflichtung, obwohl das die Familie nicht unbedingt gewollt hat": Der damals 21-Jährige gründete die "Freie österreichische Studentenschaft" und die Katholische Hochschulgemeinde mit, die "christlich, aber auch sehr liberal" war. Freund des farbentragenden Studententums sei er hingegen nicht gewesen, auch wenn er dort viele Freunde habe.

Der "Fast-Nobelpreisträger"

Doch die Wissenschaft fesselte den jungen, anglophilen Chemiker damals noch mehr: Nach seiner Promotion 1948 ging er auf Vermittlung des gebürtigen Österreichers und späteren Nobelpreisträgers Max F. Perutz zu Fred Sanger an die Uni Cambridge. Tuppy kam erstmals mit biochemischen Fragestellungen in Berührung und war an der erstmaligen Aufklärung der Aminosäuresequenz eines Proteins, des Insulins, beteiligt.

Für diese Arbeit erhielt Sanger 1958 den Nobelpreis und würdigte in seiner Rede auch den "hart arbeitenden Tuppy", was diesem die österreichische Bezeichnung "Fast-Nobelpreisträger" eintrug. Dass er damals womöglich als Kandidat diskutiert wurde, sei aber "ganz außer Betracht zu ziehen", sagt Tuppy lapidar: "Ich bin nur ein Jahr bei Sanger gewesen, der Jahre in diese Forschungen investiert hat".

Nach weiteren Lehrjahren am Carlsberg Laboratorium in Kopenhagen, wo er übrigens den DNA-Entschlüssler James Watson kennenlernte, kehrte er als Assistent an das Institut für Organische Chemie der Universität Wien zurück. 1958 wurde er auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Biochemie berufen.

Oase in der Wissenschaftswüste

Tuppys Forschergruppe war in den 1950er-Jahen "eine kleine Oase in der österreichischen Universitätswüste", schrieb sein damaliger Mitarbeiter Gottfried Schatz vor kurzem in seiner eigenen Autobiografie Feuersucher. Für Schatz, der in den USA und in der Schweiz eine glänzende Karriere machte, sei Tuppy "noch heute ein Vorbild für wissenschaftliches Talent, Fairness, Dynamik und Offenheit".

Die biochemische Oase war angesichts der Umstände - "wir waren damals sehr arm und hatten auch kaum Geräte", so Tuppy - sehr erfolgreich: Neben Schatz reüssierten noch etliche andere Mitarbeiter des Instituts (wie Gregor Högenauer, Manfred Karobath, Peter Palese, Peter Swetly oder Eduard Wintersberger) als Professoren oder Forschungsleiter großer Pharmakonzerne. Tuppy selbst verschaffte sich unter anderem mit der biochemischen Erforschung der Blutgruppensubstanzen internationale Anerkennung.

Daneben war Tuppy immer stark in der Lehre engagiert: Tausende von Medizinern haben seine Vorlesungen besucht. "Ich habe mich auch immer als Universitätslehrer gesehen", sagt der Biochemiker im Rückblick, "auch und zumal über die Universität hinaus". In dem Zusammenhang findet er erstaunlich kritische Worte über die Rolle der Hochschulen in der Gesellschaft: "Wir müssen mehr heraus aus dem Elfenbeinturm und mehr in die Gesellschaft!", fordert er mit der ihm eigenen, fast schon jugendlichen Emphase. "Wo sind die Verbindungen der Universität zur Erwachsenenbildung? Wo ist der Einfluss, den die Universität in der Gesellschaft, in der Kultur haben könnte?"

Tuppy selbst machte damit in den 1960er-Jahren ernst: Der Biochemiker engagierte sich wieder vermehrt in der Universitätspolitik und erwarb sich als ÖVP-Experte in Sachen Bildung und Wissenschaft schnell einen guten Namen, indem er etwa wichtige Vorarbeiten zum Forschungsförderungsgesetz leistete. 1969 war er als Unterrichtsminister im Gespräch, doch das Rennen machte damals Alois Mock. Der Biochemiker wurde stattdessen 1974 Präsident, nämlich des damals noch jungen Forschungsfonds FWF.

Präsident und Minister

Für Tuppy war diese forschungspolitische Funktion, die er bis 1982 bekleidete, im Rückblick "die vielleicht wichtigste, die ich innehatte. Denn damals konnte man dort besonders viel verändern und neu gestalten." So führte er im Laufe seiner Tätigkeit beim Fonds internationale Standards der Projektförderung ein - konkret etwa die anonyme Begutachtung von Förderungsanträgen durch ausländische hoch qualifizierte Gutachten.

1983 wurde Tuppy für zwei Jahre zum Rektor der Universität Wien gewählt, gleichzeitig stand er der Österreichischen Rektorenkonferenz vor. 1985 folgte die Wahl zum Präsidenten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), eine Funktion, die er 1987 frühzeitig aufgab, um dem Ruf der ÖVP für den Posten des Wissenschaftsministers zu folgen. Aber bereits im April 1989 musste Tuppy im Zuge der ÖVP-Regierungsumbildung den Ministersessel für seinen Nachfolger Erhard Busek räumen.

"An den richtigen Stellen düngen"

Als Minister sei er damals in einer ähnlichen Situation gewesen wie der Wissenschaftsminister heute: Vom Sparkurs waren damals auch die Universitäten nicht ausgenommen. Tuppys lakonisches Resümee: "Man kann in Österreich Sparziele anscheinend nicht anders erreichen, als mit dem Rasenmäher gleichmäßig alles zu kürzen." Lakonischer Nachsatz: "Es bleibt die Hoffnung, dass nach den Kürzungen an den richtigen Stellen mehr gedüngt wird."

Tuppy seien diese Funktionen stets angetragen worden, er habe sie nie selbst angestrebt. "Als die Möglichkeiten da waren, habe ich sie ergriffen und versucht, das Beste daraus zu machen." Auf diese Weise habe er mit seinen "forschungspolitischen Funktionen sicher mehr zu Entwicklung der Forschung in Österreich beigetragen, als wenn ich nur Biochemiker geblieben wäre". Und wahrscheinlich gibt es keinen Forscher, dessen Beiträge größer waren als jene Tuppys.

"Opa" des Vienna Biocenter

Um nur zwei Beispiele zu nennen: So war er als Minister ("ich war immer ein Mann der Koalition") dafür verantwortlich, dass man an den Universitäten auch in anderen Sprachen als in Deutsch unterrichten durfte, was bis dahin bis auf den Fremdsprachenunterricht untersagt war. Und in nahezu all seinen Funktionen als Ordinarius, Rektor und Minister war bei der Gründung und Entwicklung des Vienna Biocenter beteiligt - jener Erfolgsgeschichte, die ohne Tuppys frühe Verbindungen zur Pharmafirma Böhringer und ohne seinen Schüler Peter Swetly vermutlich gar nicht erst begonnen hätte.

Mit seinen fast 90 Jahren ist Hans Tuppy so gut wie täglich in seinem Büro 3.618. im Vienna Biocenter. Dort hält er sich wissenschaftlich auf dem Laufenden und erledigt seine Korrespondenz am Computer, über dem eine Reihe abgegriffener schwarzer Leitz-Ordner weit zurück ins 20. Jahrhundert verweist.

Was das biochemische Geheimnis seiner Fitness sei? Da verweist der von der Epigenetik faszinierte Tuppy dann aber doch wieder auf die Genetik: "Ich habe das Glück, dass die meisten meiner Vorfahren sehr alt geworden sind. Aber es hat sicher geholfen, dass ich immer wieder etwas Neues angefangen habe. Auch wenn es immer mit Wissenschaft zu tun hatte." (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 9.7.2014)