Was muss eigentlich noch alles passieren?

"Die Probleme häufen sich", sagte Christian Keuschnigg, der Chef des Instituts für Internationale Studien, bei der Präsentation des Wirtschaftsberichts der Bundesregierung. "Das Steuersystem ist aus dem Ruder gelaufen, die Abgabenbelastung auf Arbeit erdrückend. Das Pensionssystem liegt im Defizit, die Arbeitslosigkeit ist beunruhigend hoch, die Wettbewerbsfähigkeit droht zu sinken. Das Wachstum lahmt und im Budget ist kein Spielraum, um starke Akzente zu setzen."

Worauf warten wir noch? Keuschniggs Aussagen sind nur unwesentlich schärfer als die der zahlreichen anderen Wirtschaftsforscher und Experten, die den Wirtschaftsbericht für die Bundesregierung kompilieren.

Aber bei der Präsentation des Berichts, der eine Art Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen Situation des Landes darstellt, schwärmt Kanzler Faymann nur wieder davon, wie toll Österreich in der Welt dasteht.

Im Vorfeld hat es eine typische Übung in Koalitionsödnis gegeben. Sozialminister Hundstorfer sagt, das tatsächliche Pensionsantrittsalter steigt eh ganz toll. ÖVP-Staatssekretär Danninger kontert, das sei ein Rechentrick (die auf bezahlte Reha statt in Frühpension geschickten Personen wurden nicht gezählt). Spindelegger sagt, bei den Pensionen fehlen 200 Millionen; stimmt nicht, sagt Hundstorfer. Wenn Spindelegger ein "Oberlehrer" ist, dann ist Hundstorfer ein Beschwichtigungshofrat.

Das Problem dieses Landes, seiner Regierung und der Mehrheit seiner Bewohner ist, dass zwar die allermeisten die schleichende Verschlechterung ihrer Lebenssituation erkennen, aber weder die Ursachen, noch die notwendigen Maßnahmen wahrhaben wollen.

Stattdessen populistischer Selbstbetrug, wie eine Vermögenssteuer, die weder eine dringend notwendige Steuersenkung finanzieren noch etwas an der schwindenden Wettbewerbsfähigkeit ändern kann; oder das Versprechen von "Verwaltungsreformen", die von einem Huster des GÖD-Chefs oder eines mächtigen Landeshauptmannes weggeblasen werden.

Wenn Wirtschaftsforscher von "schwindender Wettbewerbsfähigkeit" sprechen, versteht der Großteil der Bevölkerung Bahnhof. Dabei ist es relativ einfach: Österreich wurde wohlhabend, weil eine Handvoll Großbetriebe, vor allem aber unzählige kleinere Unternehmen Dinge und Dienstleistungen produzierten, die irgendwer wirklich haben will. Inzwischen können das aber andere auch, und billiger. Wir müssten daher in Bildung, Forschung etc. investieren, um den kleinen, aber entscheidenden Vorsprung (das ist "Wettbewerbsfähigkeit") zu halten. Stattdessen stecken wir (die Regierungsparteien) das Geld in Klientelversorgung: in viel zu viele Frühpensionen, viel zu hohe Sonderpensionen für zehntausende, wenn nicht über 100.000 Beschäftigte in staatsnahen Betrieben, in dubiose "Förderungen", vor allem in den Bundesländern, in fragwürdigste Projekte wie den Koralmtunnel, in ein gutes, aber ineffizientes Gesundheitssystem.

Wir finanzieren die Vergangenheit, nicht die Zukunft. Wir betrügen die Jungen, die sich von Prekariatsjob zu Prekariatsjob durchfretten, wir vernachlässigen auch die jungen migrantischen Nicht-Aufsteiger. Es ist nicht so, dass die Regierung gar nichts tut. Es ist nicht so, dass alle an den Schaltstellen inkompetent sind. Aber sie bringen nichts zusammen. Sie lassen sich von einer Clique die Steuerung der noch verbliebenen staatlichen Kernbetriebe (Telekom, OMV, Post) aus der Hand nehmen und sehen zu, wie ein Vertrauensmann Putins dort das Ruder übernimmt.

Es kann noch eine ganze Weile so weitergehen. Bis es einmal kracht und die Österreicher die autoritäre Version wählen. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 9.7.2014)