Intervalltraining ist ein Gruß aus der Hölle - und macht trotzdem Spaß. Außerdem ist es hocheffizient. Auf der Marswiese spielte ich das Spiel zwischen Verzweiflung und Hochgefühl zum ersten Mal auf einer Laufbahn - und entdeckte einen (fast) nackten Kanzler

Intervalle sind Hunde. Jedes Mal aufs Neue. Und das, obwohl man ohnehin im Vorhinein weiß, was kommt. Intervalle eben. Vollgas. Pause. Vollgas. Pause. Wenn man Intervalle richtig anlegt, hat man zur Hälfte das Gefühl, dass nix mehr geht. Echt nix. Weil man nämlich tot umfällt, wenn man das jetzt noch einmal macht. Oder vielleicht eh schon tot ist.

Aber dann steht Jakob wieder an der Startlinie, hat die Hand am Startknopf seiner Uhr und sagt: "Bereit?" Und weil alle wissen, dass das Fragezeichen keines ist, stellen wir uns neben und hinter ihm auf. "Los!" Einmal rundherum. Im Kreis. Genauer: Oval. 400 Meter. Vollgas. Der Trick lautet, erst dann nachzudenken, ob man das überhaupt noch kann - von "wollen" reden wir nicht -, wenn die 200-Meter-Marke vorbei ist. "Umdrehen wäre jetzt auch doof", stand auf Transparenten beim Berlin-Marathon ab Kilometer 30. Auf der Marswiese gilt das genauso: Nach 200 Metern kann man gleich die ganze Runde laufen.

Foto: Thomas Rottenberg

"Samstagvormittag: Intervalltraining in der Gruppe. Marswiese", hatte Sandrina Illes in den Trainingsplan geschrieben. "An- und Abreise mit dem Fahrrad." Also kam ich aufgewärmt am Sportplatz beim Schwarzenbergpark an. Ob ich Intervalle nicht, wie bisher, solo auf der Hauptallee laufen könnte, hatte ich schüchtern gefragt - und erwartungsgemäß einen Lacher geerntet. Eh klar: Gruppendruck, soziale Kontrolle, sich ein bisserl matchen und die absolut immer gleiche, ablenkungsfreie Streckenführung sind etwas anderes, als auf dem "Strip" im Prater bei Kilometermarken oder nach Uhr aufs Gas zu steigen und außer sich selbst nur sich selbst Rechenschaft schuldig zu sein. Außerdem wollte meine neue Trainerin wohl auch checken, wie ich unterwegs bin.

Foto: Thomas Rottenberg

Die Gruppe war bunt gemischt. Ein Sample der von der Duathletin gecoachten Klientel: "echte" Athleten und Hobbyläufer (und -innen) wie ich. Der Leistungssportler, der nach einem Jahr Pause ("Kreuzband. Beim Fußball, der Klassiker") wieder einsteigt und uns alle so was von abhängte. Das ambitioniert auf hohem Niveau laufende Pärchen, das für einen 170-Kilometer-Rad-Laufen-Kajak-Triathlon in Irland trainiert und mit Rennrädern anreiste, die mich vor Neid erblassen ließen ...

Foto: Thomas Rottenberg

... oder der Schwechater Hobbyläufer, der sich für einen Halbmarathon im Herbst "pimpen" lässt. Zwei Damen mit ebendiesem Ziel. Eine Frau, die noch nie Intervalle gelaufen ist. Und ich: Gemischte Gruppen mit unterschiedlichem Leistungsniveau finde ich spannender als gestreamlinete Blöcke. Und wenn man im Kreis rennt, kann man sich nur schwer verlieren.

Foto: Thomas Rottenberg

Aber da war noch etwas: "Wenn du darüber schreibst, erwähne, dass der Zustand der Laufbahn auf der Marswiese bezeichnend dafür ist, welchen Stellenwert Leichtathletik in Österreich immer noch hat", hatte Illes gefordert. Es sei ja nicht so, dass sie anderen Sportlern nicht die besten Trainingsbedingungen wünsche - aber "dass da für die Sanierung der Tennishalle einfach über die Laufbahn drüberasphaltiert worden ist und keiner weiß, ob und wann das repariert wird, ist bezeichnend".

Foto: Thomas Rottenberg

Ich bin ja kein Bahnläufer. Darum dachte ich mir bei den Aufwärmrunden nix. Die vier (zweimal kreuzt die Asphaltstrecke die Laufbahn) Drei-Zentimter-Stufen und die paar Steinderln sind doch wurscht. Dachte ich. Bis ich bei (meinem) vollen Tempo doch aus dem Rhythmus kam, weil ich nachdenken musste, wo und wie der Fuß jetzt an der diagonalen über die Bahn laufenden Bruchlinie vorbeikommen solle. Und auch, wenn am Cricketplatz im Prater und an anderen Orten in Wien in den letzten Jahren in die Infrastruktur investiert wurde, geht es Illes um Prinzipielles: So viele Orte, an denen auch Jedermannsportler und -innen sinnvoll, strukturiert und leistbar trainieren können, ohne Wettkampf- und Leistungssportlern ständig in die Quere zu kommen, gibt es halt nicht.

Foto: Thomas Rottenberg

"Und da ist noch etwas: Wir sind nicht alleine hier. Hier trainieren und spielen 1000 Fußballmannschaften. Und je mehr Leute die Laufbahn benutzen, umso weniger oft müssen wir mit den Kickern, aber vor allem ihren Fans, diskutieren, dass wir hier genauso sein dürfen, wie sie. Wenn Spiele sind, stehen da Partyzelte, Heurigenbänke, Hunde, Kinderwägen und Fans auf der Bahn - und denken nicht daran, Platz zu machen. Wenn die Bahn dann so ausschaut, ist es noch schwieriger, zu argumentieren." (Und ich dachte bisher, nur beim Schwimmen sei das wientypische Bahnen-Besetzen-Und-Keinen-Scherts das große Klagelied der Nicht-Leistungssportler.)

Foto: Thomas Rottenberg

Genug gejammert. Bahnlaufen kannte ich bisher nur als halbwegs gemütliches Herumgekurve bei Laktat- und anderen Leistungstests. Aber Vollgas hat was. Der Boden ist anders. Das Laufen sowieso. Und zu sehen, wie gute Läufer, also wirklich gute Läuferinnen und Läufer, sich bewegen und so davonfliegen, dass man selbst glaubt, auf dem Bankerl zu sitzen, obwohl der Puls nach oben schnalzt und nach dem fünften Durchgang jede Muskelfaser und jedes Lungenbläschen Anträge zur Entmündigung dessen, der sie da so sinnlos schindet, stellen, hat was. Kann was: Beim Zuschauen lernt man. "Es sieht aus wie fliegen, fühlt sich aber an wie sterben", lachte Illes in einer Pause.

Foto: Thomas Rottenberg

Nun ja, das gilt vielleicht für sie - ich hielt mich an den zweiten Teil ihres Satzes. Und versuchte, ihre Anweisungen zu befolgen - obwohl es mir einigermaßen schwer fiel, in Anstrengungsbereichen, die bei mir bisher unter das Start-Trek-Motto "to boldly go, where no man has gone before" gefallen waren, drüber nachzudenken, was ich da wie tat: Das Verdrängen der "Warum"-Frage war schwer genug. Und als Illes mir dann - nach der dritten Runde - tadelnd sagte, ich solle nicht 390 sondern 400 Meter voll laufen, fühlte ich mich wie ertappter Schulbub. Obwohl ich gar nicht absichtlich früher gebremst hatte: "Genau deshalb ist es wichtig, nicht immer alleine zu trainieren."

Foto: Thomas Rottenberg

10 mal 400 hatte die Trainerin gesagt. Die länger Trainierten hatten drei bis fünf Intervalle mehr: "Weil es keinen Sinn machen würde, sich beim ersten Mal so ins Eck zu stellen, dass man drei Tage nicht kriechen kann." Ich lief elfmal voll. Ein Bubending: Nachdem ich neunmal immer knapp hinter einem Mitläufer ins Ziel gestolpert war, war ich beim zehnten Mal plötzlich vor ihm. Deutlich. Aber er meinte, das seien "zwei und nicht zehn Sekunden" gewesen - also versuchten wir es noch einmal. Und weil es um nix geht, ist egal, wie es ausging.

Foto: Thomas Rottenberg

Obwohl es natürlich um etwas geht: Das Kratzen an den Höchstwerten hilft, Tempo und Ausdauer zu steigern. Weil der Körper - supereinfach formuliert - lernt, dass er sowas tatsächlich überlebt. Wenn er sich nur danach erholen darf. Der Vergleich mit Abhärtung durch kalt-warme Wechselduschen hinkt zwar, illustriert den Effekt aber doch halbwegs - wenn das Mittel kontrolliert und ans individuelle Level angepasst, eingesetzt wird. Die Wirkung - etwa höheres Tempo länger halten zu können - spürt man erst später. Unmittelbar nach den Intervallen - oder dazwischen - ist oft anders. "Es war ein feines Training. Alle am oder nahe dem Anschlag - aber keiner hat sich übernommen." Dann scherzte sie: "Und niemand hat gespieben," setzte aber gleich - und ernst gemeint - nach, dass "das auch nicht das Ziel der Übung ist. Im Gegenteil: Ich bin froh, wenn es den Leuten gut geht - obwohl sie sich an ihre Grenzen herantasten."

Ich war da im Kopf aber schon am Herantast-Weg zur nächsten Grenze. Illes Auftrag für den Folgetag: "Vier Stunden Radfahren. Zehn Pulsschläge unter dem, was du sonst fährst." Nachsatz: "Auch wenn dich alle überholen." Illes trainiert mich noch nicht lange - kennt mich aber schon gut: Es wurden genau deshalb die härtesten 100 Kilometer meines Lebens. Aber das ist eine andere Geschichte.

Foto: Thomas Rottenberg

Obwohl auf der Marswiese auch eine andere andere Geschichte zu erzählen gewesen wäre: Neben uns kickte eine Altherrenpartie. "Ist das nicht der Schüssel?", fragte einer meiner Mitläufer nach kurzer Zeit. Tatsächlich: Hier bolzte der Ex-Kanzler. Soll sein. Doch dann wurde er zur Story: Schüssel legte ab - und spielte oben ohne. Als absolut einziger Sportler auf der Marswiese. Und nach dem Match lief er ein paar Auslockerungsrunden. Ebenfalls topless: Gut in Form - nicht nur für einen 69-Jährigen. Aber die Frage, ob Männer das sollen und dürfen, stellte sich dann doch.

Den Text dazu finden Sie hier: rottenberg.eu.

Ein Beleg der totalen Sinnhaftigkeit, mit einem GPS-Tracker im Kreis zu laufen.

Mehr über Sandrina Illes gibt es hier.

Und das ist der Sportplatz Marswiese.

Foto: Thomas Rottenberg