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Auch in Marseille protestieren Kulturschaffende gegen die geplanten Einsparungen bei ihrer Arbeitslosenversicherung. Reformen wären angesichts der schlechten Wirtschaftslage aber bitter nötig.

Foto: Reuters

An diese "Zauberflöte" werden sich die Besucher des Musikfestivals von Aix-en-Provence noch lange erinnern. Allerdings nicht wegen der Darbietung. Am Eingang stand die Polizei Spalier, hinter ihr lärmten Kulturschaffende. Auf dem Weg in den Konzertsaal mussten die festlich gekleideten Zuschauer über am Boden liegende Streikende steigen. Bevor der Opernabend begann, trat der Regisseur auf die Bühne und erklärte sich nicht mit dem Publikum, sondern mit den Demonstranten "solidarisch" .

Diese "intermittents" protestieren seit Wochen gegen eine Reform ihrer Arbeitslosenversicherung. Deren gewaltiges Defizit rührt von einer Eigenheit des französischen Kulturbetriebs her: Kulturschaffende werden das ganze Jahr entschädigt, wenn sie insgesamt 507 Stunden - rund drei Monate - gearbeitet haben.

Dank dieses großzügigen Regimes hat sich die Zahl der "intermittents" in den letzten zehn Jahre mehr als verdoppelt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass damit viel Schindluder betrieben wird. Vor allem private und öffentlich-rechtliche Fernsehsender nutzen die staatliche Versicherung schamlos aus. Sie beschäftigen auch Sekretärinnen oder Chauffeure als "intermittents" und lassen sie viel länger als die offiziell deklarierte Zeit arbeiten. Den Rest zahlt die Arbeitslosenversicherung. Die "intermittents" kosten die Allgemeinheit jährlich gut eine Milliarde Euro.

Premierminister Manuel Valls hat nun per Ende Juni die Arbeitslosenbeiträge der "intermittents" leicht erhöht. Das geht den Beteiligten aber bereits zu weit. Nicht auszudenken, was geschähe, wenn Valls die anachronistische Versicherung des Kulturbetriebs von Grund auf reformieren würde.

Ein Land steht still

Ins eigene Fleisch schneiden sich auch die Docker der staatlichen Korsika-Fähren SNCM. Sie sind seit einer Woche im Streik, um eine ebenso vorsichtige Neuorganisation ihres schwer defizitären Schiffstransports zu verhindern. Die Direktion des Staatsunternehmens will Abfahrhäfen an der Côte d'Azur, wie Toulon oder Nizza, schließen und dafür den aufstrebenden Fährdienst nach Algerien, Marokko und Tunesien fördern. Die Docker sind aber gegen jede Neuorganisation. Medien und Politiker sprechen von einem "suizidären" Streik: Reisende weichen auf den privaten Konkurrenten Corsica Ferries aus, das Unternehmen sackt damit zur Hauptreisezeit noch tiefer in die roten Zahlen.

Die Fälle der Kulturarbeiter und Korsika-Fähren sind Ausdruck der gesamtwirtschaftlichen Blockade. Eingeklemmt zwischen dem linken und dem Reformflügel seiner Partei, ist Präsident François Hollande wirtschaftspolitisch völlig handlungsunfähig. Dabei wäre entschlossenes Handeln nötiger denn je: Sowohl die Arbeitslosigkeit wie auch die Staatsschulden haben in den letzten Tagen neue Rekordwerte erreicht. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 8.7.2014)