Dank der Poren und ihrer chemischen Struktur rollt sich die Membran aus einem ionischen Polymer schneller und kräftiger auf als vergleichbare Aktuatoren.

Foto: MPI für Kolloid- und Grenzflächenforschung

Potsdam - Pflanzen verfügen über keine Muskeln, viele Spezies können sich dennoch erstaunlich kräftig bewegen. So öffnen sich zum Beispiel die Samenkapseln der Mittagsblume, wenn sie nass werden, wenn die Bedingungen also günstig sind, damit die Samen gedeihen können. Sobald die Kapseln trocken sind, schließen sich die Deckel wieder.

Die Aussicht auf eine erfolgreiche Fortpflanzung verdankt die Mittagsblume also der ausgeklügelten Struktur ihrer Kapseldeckel: Da deren Unterseite anders als die Oberseite Wasser aufnehmen kann und dabei aufquillt, klappen die feuchten Deckel auf, während sie sich im trockenen Zustand wieder zusammenfalten. Ganz ähnlich funktioniert auch eine künstliche Haut, auch Aktuator genannt, die Forscher des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam entwickelten: Sie konnten eine Membran herstellen, die sich sehr schnell aufrollt, wenn sie in Kontakt mit den Dämpfen organischer Lösungsmittel wie etwa Aceton kommt.

Gute Figur im Härtetest

"Unsere Membran reagiert auf einen äußeren Reiz gut zehnmal schneller als bisherige Polymer-Aktuatoren", sagt Jiayin Yuan, Leiter der Forschungsgruppe. "Sie führt zudem eine größere Bewegung aus." Dabei übt die Membran eine Kraft aus, mit der sie etwa da zwanzigfache ihres eigenen Gewichts anheben kann.

Und sie funktioniert sogar dann noch fast tadellos, wenn ihr die Forscher ziemlich zusetzen: Erst kühlten sie das Material mit flüssigem Stickstoff zwei Stunden lang auf minus 190 Grad Celsius, erhitzen es anschließend einen Tag lang auf plus 150 Grad Celsius und pressten es dann noch mit einer Tonne pro Quadratzentimeter. Zwar büßt die Membran bei dieser Tortur ein wenig an Reaktionsgeschwindigkeit ein, funktioniert aber immer noch besser als alle vergleichbaren Polymer-Aktuatoren, die sich beim Kontakt mit einer Flüssigkeit bewegen.

Schnelle Reaktion

Materialforscher verfolgten seit langem verschiedene Ansätze, um biomimetische Aktuatoren zu entwickeln, die sich also wie biologische Vorbilder verhalten. Bisher kamen sie dabei jedoch nicht an das natürliche Vorbild heran. Wie bei den mechanischen Teilen von Pflanzen macht auch hier die Struktur des Materials den Unterschied. "Unsere Membran weist einen Gradienten, also ein Gefälle im Grad der Vernetzung auf, und ist außerdem porös", sagt Yuan. "Dank dieser beiden Strukturmerkmale, reagiert unser Aktuator schnell und mit einer großen Bewegung."

Bisher bestehen viele solcher Aktuatoren dagegen aus zwei Schichten, die unterschiedlich viel Flüssigkeit aufnehmen. Solch eine Materialkombination kann aber nur relativ kleine Bewegungen ausführen und ist dabei recht langsam. Viele dieser Systeme lassen sich auch nur aufwändig herstellen und sind empfindlich auf äußere Bedingungen.

Einseitige Aktivierung

Die Max-Planck-Forscher erzeugten nun zunächst in einer entsprechenden Lösung eine Membran aus einem ionischen Polymer. In diese Folie eingelagert sind voluminöse Säulen-Moleküle, die mögliche Anknüpfungspunkte zu den ionischen Polymeren tragen. Die molekularen Säulen und Ketten vernetzten die Forscher mit einer Ammoniaklösung, die die Anknüpfungspunkte der Säulen aktiviert. Der entscheidende Punkt dabei: Die Forscher gewährten der Ammoniaklösung nur von einer Seite Zugang zu der Membran, weil diese auf einer Glasunterlage lag.

Die Lösung sickerte also nur langsam von oben in die Folie ein. Daher verknüpfte sie die Komponenten an der Oberseite stark, aber immer weniger, je tiefer es in die Membran hineingeht. Die wässrige Ammoniaklösung hat darüber hinaus noch einen anderen Effekt, sie hinterlässt auch die Poren in der Folie. Durch die Poren breitet sich der Dampf von  Lösungsmitteln wie etwa Aceton schlagartig in der Membran aus. An der Oberseite, die stark vernetzt und hart ist, richtet der organische Treibstoff des Aktuators allerdings nicht viel aus. In Richtung der Unterseite dagegen immer mehr: Dort löst er das ionische Polymer und lässt das Material aufquellen – die Membran biegt sich.

Vielschichtige Anwendungsmöglichkeiten

Solche Aktuatoren könnten überall dort nützlich sein, wo ein Material mit einer Bewegung auf einen äußeren Reiz reagieren soll. So könnte eine derartige Membran Robotern gleichzeitig als künstliche Haut und Muskel dienen. Ihr besonderer Charme läge darin, dass für die Bewegung keine Energie extra aufgewendet werden müsste. Diese würde vielmehr der Reiz selbst liefern.

Eine weiteres ziemlich unerwartetes Einsatzgebiet der Membran kam den Forschern in den Sinn, als sie verschiedene Lösungsmittel zum Antrieb des Aktuators testeten: "Die Membran reagierte sehr charakteristisch auf jedes Lösungsmittel, das wir verwendeten - sowohl in der Stärke der Bewegung als auch in der Reaktionszeit", berichtet Yuan. "Sie eignet sich also sehr gut als Sensor, der zwischen verschiedenen organischen Lösungsmitteln unterscheiden kann."

Die Forscher nun weiterentwickeln. Sie arbeiten etwa an einem Aktuator, der nicht durch ein Lösungsmittels motiviert wird, sondern durch Licht. "Wir wollen zeigen, dass polyionische Flüssigkeiten Anwendungen ermöglichen, die mit anderen Materialien nicht denkbar sind", so Yuan. (red, derStandard.at, 7.7.2014)