Wien - Er wirkt nicht gerade wie der Superstar, zu dem ihn sein Buch in den vergangenen Monaten gemacht hat. Thomas Piketty wirkt schüchtern, fast ein wenig ängstlich, als er am Freitag einer Runde Journalisten gegenübertritt. Er ist kein großer Redner, kein Mann der großen Sager. Die Arbeiterkammer, auf deren Einladung er am Freitag in Wien war, hat den Medien 30 Minuten mit ihm eingeräumt. Die ersten 15 Minuten brauchte Piketty dazu, eine einzige Frage zu beantworten.
Was man dem Franzosen zugutehalten muss: Der Journalist hatte sein Buch offensichtlich nicht gelesen. Er fragte ihn, wie es denn sein könne, dass die Ungleichheit immer weiter zunehme. Geduldig erklärte ihm Piketty sein Werk, das in den USA binnen weniger Tage auf die Nummer eins der Bestsellerlisten kletterte. Im 600 Seiten dicken Wälzer versucht er, die inneren Kräfte des Kapitalismus zu entschlüsseln. Weil Vermögen viel schneller wachsen würden als Einkommen, zerfleische sich unser Wirtschaftssystem mit der Zeit selbst, schreibt Piketty.
Nicht Leistung durch Arbeit, sondern Erbschaften würden früher oder später die Gesellschaft dominieren. Es sei denn, die Politik steuere gegen. Österreich kommt im Buch von Piketty nur einmal in einem Nebensatz vor. Dafür entschuldigt er sich auch gleich. "Es tut mir leid, dass Österreich im Buch nicht behandelt wird", sagt Piketty mit einem Schmunzeln. Für Österreich sind keine historischen Werte für das gesamte Vermögen verfügbar, aber gerade die braucht der Ökonom, um seine Thesen zu untermauern.
Piketty auf Spindelegger: "Widerspricht sich"
Der Franzose setzt sich für eine weltweite Steuer auf Vermögen ein, das Kapital, das gerne als scheues Reh bezeichnet wird, könnte dann nur mehr Richtung Weltall flüchten. Die Steuer soll ab einem Betrag von einer Million Euro schlagend werden, höhere Vermögen sollen gleichzeitig höhere Abgaben leisten, so Piketty. Dann erst könne man die Kräfte des Kapitalismus zähmen. Piketty sieht sich übrigens nicht als Kapitalismusgegner. In seinem Buch schreibt er, er sei für sein Leben lang gegen die "faule Rhetorik des Antikapitalismus geimpft".
Er habe auch kein Problem mit Ungleichheiten, solange sie gerechtfertigt sind, sagt Piketty. Heute seien sie das nicht. Vor allem hohe Einkommen würden selten auf Leistung, meist auf Macht und Netzwerken fußen, so Piketty. Auch zum österreichischen Steuersystem hat er eine Meinung: "Arbeit ist hier überbesteuert", sagt er. Das mache Österreich ungleicher und ineffizienter, Menschen, die weniger gut verdienen, beziehen ihre Einkommen meist nur aus Arbeit und würden so von der vollen Steuerlast getroffen werden.
Marke Piketty
Piketty greift sich immer wieder nervös durch die Haare, versucht an den Mikrofonen, die vor ihm stehen, Halt zu finden. Von der englischen Version des Buches hat sich schon eine halbe Million Stück verkauft, sagt er stolz. Es würden Menschen zu ihm kommen, die noch nie zuvor so ein dickes Buch gelesen hätten.
Die Marke Piketty verkauft sich. In der Arbeiterkammer (AK) hat er den größten Saal mit 500 Plätzen bis auf den letzten gefüllt. Gleichzeitig richtete die Kammer ein Live-Streaming in einem Theater nebenan ein. Hunderte versammelten sich laut AK vor der Leinwand. Nicht um Fußball zu schauen, sondern um dem Vortrag eines Ökonomen zu lauschen. Er wird sich an die Aufmerksamkeit gewöhnen müssen. (Andreas Sator, Sonja Spitzer, DER STANDARD, 5.7.2014)