Olya Kroytor leistet stumm, aber wirkungsvoll Widerstand: "Point of Suppport".


Moskau - Zum vierten Mal wurde in Moskau die Biennale für junge Kunst organisiert - und das Interesse war groß: 3069 Künstler bis 35 Jahre aus 84 Staaten stellten sich dem Auswahlverfahren. Ein Grund für die hohe Beteiligung dürfte David Elliott gewesen sein. Denn der renommierte Kurator, der u. a. das Moderna Museet in Stockholm und das Mori Art Museum in Tokio geleitet hatte, wurde als künstlerischer Direktor verpflichtet.

Er garantierte aber nicht nur hohes Niveau: Mit dem Motto A Time for Dreams traf Elliott ziemlich gut die gegenwärtige Befindlichkeit - auch wenn er eigentlich von Martin Luther Kings Rede I Have a Dream von 1963 inspiriert wurde. Denn die Vorgabe ließ sich vielfältig interpretieren - vom Aufruf, für Gerechtigkeit und andere hehre Ziele zu kämpfen, über Albträume sonder Zahl bis hin zur freiwilligen oder verordneten Flucht in kunterbunte Traumwelten.

Elliott wählte 83 durch die Bank kritische Positionen aus 32 Ländern aus, darunter mit der Hamburgerin Toni Schmale, die an der Akademie der bildenden Künste in Wien Bildhauerei studiert hatte, auch eine Wahlösterreicherin. Und mit dem Museum Moskau wurde ihm eine exzellente Location zur Verfügung gestellt. Diese eigentlich der Traditionspflege und Stadtgeschichte verpflichtete Institution ist in einer ehemaligen Kaserne am Zubovskij bul'var untergebracht. Von der Biennale wird nicht nur eine Wagenremise mit zwei Geschoßen, sondern auch der Innenhof bespielt. Ins Auge sticht sogleich ein "Springbrunnen" mit lecken Ölfässern und dem zynischen Titel The Triumph of Fun von Ivan Plusch.

Daneben hat Zip Group, die gegenwärtig auch im ehemaligen Weinkeller Winzavod (nun ein Zentrum für zeitgenössische Kunst) dominant vertreten ist, einen Turm aus Holzbalken errichtet. Der Besucher ist eingeladen, den District of Civil Resistance zu besteigen; ganz oben harrt ein Megafon der Benützung.

Stummer Widerstand

Bei der Eröffnung der Biennale vor einer Woche leistete die Performancekünstlerin Olya Kroytor stumm, aber wirkungsvoll Widerstand: Kerzengerade stand sie zwei Stunden auf einem entrindeten, gut vier Meter hohen Baumstamm (Point of Support). Mit ihren im Wind flatternden Haaren wirkte sie wie eine Mischung aus Madonnenstatue und Jeanne d'Arc.

Im Inneren der Remise stößt man zunächst auf einen arabischen Schriftzug aus roten Neonröhren von Eric Parnes (USA): Dream A Little Dream macht nicht gerade viel Hoffnung, dass die Demokratiebestrebungen und Friedensinitiativen im Nahen Osten von Erfolg gekrönt sein könnten. Ziemlich deprimierend sind auch die Ölbilder der Ungarin Jakatics-Szabó: Don't dream it's over steht über einer düsteren Szenerie mit Menschen, in denen das Feuer beinahe erloschen ist.

In dieser Tonalität geht es weiter: Anna-Stina Treumund (Estland) verkörpert in Videos und Fotografien mehrere Loser, Pavel Otdelnov (Russland) porträtiert in Öl einsame Menschen und malt menschenlose Landschaften voll Strommasten. Die Russen Vladimir Chernyshev und Artem Filatov haben eine windschiefe Holzhütte als Metapher mitten in den Raum gestellt (Emty House). Und Lek M. Gjeloshi (Albanien) verwandelte einen White Cube, gesichert mit Drähten gegen Vögel, in eine Zelle: Beim Betreten zerplatzen die Luftpolsterblasen.

Mitunter flieht man in virtuelle Welten samt Reizüberflutungen - z. B. in den Videoinstallationen von Versia Harris (Barbados) und Julian Santana (Deutschland). Selten wird es sogar amüsant. Im digitalen Trickfilm von Di Fang (China) klärt ein cleveres Mädchen ein Barbie-Girl darüber auf, dass es doch nicht in einer heilen Welt lebt. Wirklich großartig sind u. a. die Zeichentrickfilme von Sun Xun (China) und Boonsri Tangtrongsin (Thailand).

Die Organisatoren der Biennale, das Moscow Museum of Modern Art und das National Centre for Contemporary Arts, zeigen zudem Ausstellungen in ihren Häusern. Dreaming Machines spielt unterkühlt, aber klar mit Konstrukten; die Länderschauen Pakistan, Thailand, Ukraine und Tschechische Republik enttäuschen. Ausnahme bildet Astar mit Künstlern aus Aserbaidschan. Im titelgebenden Video dokumentiert Zamir Suleymanov berührend das Leben in Baku. Einen krassen Gegensatz bilden das Video von einem brennenden Haus und die monströse Hochzeitsdekoration von Samir Salahov. So schnell zerplatzen Träume. (Thomas Trenkler aus Moskau, DER STANDARD, 5.7.2014)