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Die Identität des Erzählers ist unklar. Am Ende macht sich der Geschwätzige aus dem Staub. Bleibt sein Autor: Burkhard Spinnen.

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an kennt die Grundkonstellation: Einer, der nicht anders kann, erzählt; was er schildert, ist ein anderer aufzuzeichnen genötigt. Und man kennt den Topos vom Schiff als Mikrokosmos, als sich bewegender und doch gleichbleibender Ort menschlicher Geschichten.

Darauf baut Burkhard Spinnen das wackelige Gerüst seines Romans Zacharias Katz. Er setzt einen Schwerverletzten Anfang 1945 in Szene, der im amerikanischen Militärlazarett Bastogne von den Sommermonaten 1914 in der Karibik berichtet. Der vorgebliche US-Reporter Zacharias Smith, genannt Zach Katz, diktiert zunächst einem Corporal, dann dem deutschen Gefangenen Robert seine Geschichte. Der Wechsel des Zuhörers, der direkt auf eine lange Rolle in die Maschine tippt und zwischendurch auf ein, zwei Seiten die aktuelle Situation erläutert, ist dem Ich-Erzähler, der fiktive Wechsel vom Englischen ins Deutsche dem Autor einerlei. Der Duktus ändert sich nicht. Die Figur denkt vom Ende des einen Krieges an den Anfang des anderen zurück; die von fremder Hand verfertigte Textrolle ist der Roman, wie man am Schluss erfährt.

Ein erster grober Fehler

Dabei unterläuft Spinnen ein erster grober Fehler, indem er die Erzählanordnung, die er sowohl als thematische Brücke als auch zur Betonung der Plausibilität anlegt, nicht plausibel gestaltet. "Wollen Sie nicht fragen, Robert?", heißt es und darauf, ungelenk: "Was Sie fragen sollen?" Tatsächlich würde doch eine Schreibhilfe derartiges Geplänkel und all die Arbeitshinweise ("Das ist mal ein guter Moment für eine Pause"), die einen lebendigen Duktus simulieren sollen, nicht festhalten.

Vom Krankenbett aus versetzt sich Zach Katz in seine frühen Jahre, ein Notizbuch dient ihm als Stütze. Vor seinem nach Pennsylvania ausgewanderten Vater, dann vor einer imaginierten Gefahr war er geflüchtet, auf einem deutschen Schiff durch die Karibik gereist. Die "Präsident" sammelt Passagiere für die großen Dampfer auf, mit Kriegsbeginn nimmt sie Flüchtlinge an Bord, danach sehen Kapitän und die deutsche Mannschaft sie als Kreuzer, mit dem sie Feinde kapern wollen.

Katz, der Deutschamerikaner im Dazwischen, kann bald die Entscheidung, auf welcher Seite er stehe, nicht mehr dadurch vertagen, dass er die Lebensbeichten anderer anhört.

Dass er mehrmals an Bord zurückkehrt, ist ebenso dünn motiviert wie seine ganze Flucht. In New York war er Liedertextverbesserer, auf Urlaub in Havanna erreicht ihn ein Telegramm des Komponisten: "Achtung! Lebensgefahr! Jetzt keine Fragen! Komm nicht zurück!" Sogleich sieht sich Smith alias Katz von Gangstern, Agenten, Mördern verfolgt. Die mäßige Grundkonstellation wäre noch hinzunehmen, wenn nicht die Geschichten der Passagiere dieses Romans plakativ und die sprachlichen Ausformungen mühsam, mitunter misslungen wären. Interessant ist der Weg des Kapitäns, vom Segler zum U-Boot und schließlich auf die Präsident; hanebüchen hingegen das Gespräch mit dem mehrfachen Mörder.

Sie können spannend erzählen!

Wie leicht Personen mit ihrem Leben rausrücken, mag verwundern. Dass all diese scheinbar geordneten Verhältnisse mit Theaterdonner in Brüche gehen, wirkt mit Fortlauf der Handlung gezwungen und rührselig.

Der vorgeblich mündliche Duktus gibt den Stil der Figur wieder, den Spinnen auch noch vom Diktatschreiber loben und so sich selbst auf die Schulter klopfen lässt: "Sie können wirklich spannend erzählen, Respekt." Der Text aber steckt voller Phrasen. New York ist "ein Moloch" , der Broadway "eine Scheinwelt"; ein Passagier "ging den Weg, der ihm vorbestimmt war". Er habe "geschlafen wie ein Säugling", verwendet Spinnen via Zach Katz ein schiefes Bild (Babys wachen gewöhnlich nachts mehrmals auf), und einige seiner Sätze sind so plump ("Vor den Lokalen saßen Menschen, Männer und Frauen"), so unnötig, dass sie lächerlich wirken: "Übrigens war es heiß in Havanna, wenn man das überhaupt erwähnen muss."

"Allerdings irgendwie treffend"

Als Meister der Präzision erweist sich Spinnen ohnehin nicht - "Die Männer schrien einander pausenlos Kommandos zu" (pausenlos?) -, hingegen ist er ein Adept des Füllwort-Übermaßes: wie man so sagt, wenn man so will, eigentlich, wie auch immer. Unfreiwillige Komik bringt "so gut wie" in Verbindung mit Negativem oder in der Formel "so gut wie nichts". Das inflationär gesetzte "übrigens" ist eines der Signalwörter des Schwätzens, jenes der Ungenauigkeit ist "irgend". Was sagt es aus, wenn da steht "Allerdings irgendwie treffend"?

Steif, mühsam, falsch. Sogar der mögliche Verweis, es sei ja alles im Grunde ironisch, erledigt sich durch ausgestellt bemühte Ironie: "Ich finde, ich habe das ziemlich gut hingekriegt. Finden Sie auch? Nein, im Ernst ..." Keine Reflexion über Erinnern und Erzählen, sondern scheinbar über die Bande gespieltes Selbstlob. Im letzten Teil des Romans kommt auch noch das schon lange im Plakativen Erwartete: Die Identität des Erzählers ist unklar. Am Ende macht sich der Geschwätzige aus dem Staub. Bleibt sein Autor Spinnen, dem die groben Mängel der Erzählung sowie die verheerenden sprachlichen Schnitzer seiner Figur anzulasten sind.

(Klaus Zeyringer, DER STANDARD, Album, 5./6. 7.2014)