Sozialminister Rudolf Hundstorfer schmettert den Ruf der ÖVP nach weiteren Pensionsreformen ab, fordert aber Mitarbeit von Ländern und Wirtschaft ein: Es sei naiv zu glauben, dass sich da wer ausklinken könne.

Foto: cremer

Eine Trendumkehr sieht Sozialminister Rudolf Hundstorfer in Sachen Pensionen. Innerhalb eines Jahres sei das tatsächliche Pensionsantrittsalter um mehr als acht Monate gestiegen, berichtet der sozialdemokratische Ressortchef im STANDARD-Interview: In den ersten fünf Monaten 2014 lag das Antrittsalter im Schnitt bei 58,77 Jahren, im gleichen Zeitraum des Vorjahres bei nur 58,06 Jahren. Zum Vergleich: In den letzten fünf Jahren war das Antrittsalter um insgesamt nicht einmal fünf Monate gestiegen.

Da heuer bis dato auch die Zahl der Neueintritte in die Pension gesunken ist, spricht Hundstorfer von einem "erstmals greifbaren Zeichen", dass die von der Regierung eingeleiteten Maßnahmen gegen Frühpensionen griffen. Den Ruf der ÖVP nach weiteren Pensionsreformen schmettert der Minister ab, räumt aber ein, dass die Integration Älterer am Arbeitsmark "momentan nicht super funktioniert".

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STANDARD: Die Regierung hat das geplante Pensionsmonitoring nicht bis Ende Juni zustandegebracht, doch wir springen gerne ein: Sehen Sie irgendeinen Fortschritt, der die weitverbreitete Befürchtung entkräftet, dass das Pensionssystem auf Dauer unfinanzierbar ist?

Hundstorfer: Mit diesen Warnungen habe ich noch nie etwas anfangen können. Natürlich ist das System finanzierbar - das hängt eben davon ab, was einer Gesellschaft die Versorgung der alten Menschen wert ist.

STANDARD: Es ist auch eine Frage der Möglichkeiten, zumal die Gruppe der Älteren und damit die Pensionskosten stark wachsen.

Hundstorfer: Deshalb muss jene Generation, die in den nächsten zehn Jahren in Pension geht, einen Beitrag leisten, indem sie später das Arbeitsleben verlässt. Wir haben Frühpensionen bereits viele Schranken gesetzt, und das zeigt Wirkung: In den ersten fünf Monaten 2014 lag das Pensionsantrittsalter im Schnitt bei 58,77 Jahren, im gleichen Zeitraum des Vorjahres bei nur 58,06 Jahren. Das ist ein Anstieg von mehr als acht Monaten in einem Jahr. Außerdem sind die Neuantritte in die Pension um ein Prozent gesunken.

STANDARD: Klingt nach nicht viel ...

Hundstorfer: ... ist aber erstmals ein greifbares Zeichen, dass sich der Trend umkehrt. In den Jahren davor gab es stets einen Anstieg.

STANDARD: Entscheidend sind aber die Kosten - und die steigen laut jüngstem Budgetplan wieder einmal viel stärker als im alten Finanzrahmen prognostiziert.

Hundstorfer: Da müssen Sie aber auch dazusagen, dass wir in den letzten vier Jahren stets weniger Geld gebraucht haben, als ursprünglich veranschlagt war. Entscheidend sind außerdem die Kosten in Relation zum Bruttoinlandsprodukt, und die bleiben langfristig insgesamt im Rahmen, weil der Aufwand für die auslaufenden Beamtenpensionen in 15 Jahren zu sinken beginnt.

STANDARD: Derzeit steigen aber auch diese Kosten noch. Sind die Übergangsfristen für Beamte ins neue System nicht zu großzügig?

Hundstorfer: Wie soll ich das beschleunigen? In meinem Ministerium fand die letzte Pragmatisierung 1999 statt - und eine lange Lebenserwartung kann ich niemandem verbieten. Pensionierte Beamte zahlen ohnehin schon einen Extra-Sicherungsbeitrag, und mit der Einschränkung der Sonderpensionen haben wir jetzt noch einmal zugegriffen.

STANDARD: Auch nicht sehr kräftig.

Hundstorfer: Immerhin zahlen die Bezieher einer Höchstpension jetzt in Summe 15 Prozent an Extrabeiträgen - so wenig ist das auch nicht. Einem Pensionisten mit 1000 Euro im Monat kann ich die Begrenzung künftiger Höchstpensionen mit 9000 Euro natürlich schwer als Fortschritt verkaufen, aber Faktum ist: Wir haben erstmals ein Dach eingezogen.

STANDARD: Die Länder müssen das nur, wenn sie wollen. Werden sie?

Hundstorfer: Natürlich. Alle werden etwas machen. Es ist naiv zu glauben, dass sich da ein Bundesland ausklinken kann - da werden schon die Medien dahinter sein. Und beim Finanzausgleich kann die Bundesregierung auf Länder schon auch Druck ausüben.

STANDARD: Die SP-Regierung in Wien etwa hat Pensionsreformen nicht immer nachvollzogen.

Hundstorfer: Für Wiener Beamte gibt es dafür keine Frühpension für Langzeitversicherte, wie sie der Bund mit der Hacklerregelung hat - was für enorme Wickel mit Vertreterinnen der weiblichen Belegschaft gesorgt hat.

STANDARD: Sehen Sie noch Bedarf für weitere Pensionsreformen, wie sie die ÖVP fordert?

Hundstorfer: Nein. Die Weichen sind gestellt, um das faktische Antrittsalter anzuheben und Invaliditäten zu vermeiden - der Zulauf von Arbeitern und Angestellten in die Invaliditätspension hat in den ersten fünf Monaten 2014 gegenüber dem Vorjahr bereits um 14 Prozent abgenommen. Was aber nicht sein kann: dass die Wirtschaft außen vor bleibt. Da muss man das Kind beim Namen nennen: Die Unternehmervertreter blockieren das Bonus-Malus-System, das sie bei den Regierungsverhandlungen selbst mit vereinbart haben.

STANDARD: Wird das System nicht ohnehin wirkungslos sein? Die Pönale soll pro älteren Beschäftigten, der auf die vorgegebene Quote fehlt, etwa 70 Euro betragen. Das wird ein Betrieb aus der Portokasse zahlen, ohne etwas zu ändern.

Hundstorfer: Besprechen Sie das einmal mit der Wirtschaft, die sich dagegen wehrt! Ich sehe darin schon einen Anreiz für Betriebe, älteren Arbeitnehmern einen längeren Verbleib anzubieten.

STANDARD: Die Zahl der älteren Arbeitslosen steigt überdurchschnittlich. Werden verhinderte Frühpensionisten nicht direkt am Arbeitsamt landen, ohne dass sich der Staat etwas erspart?

Hundstorfer: Es ist nicht leicht, einen gesundheitlich angeschlagenen Arbeitnehmer über 50 Jahre wieder in einen Job zu bringen. Deshalb haben wir unsere Eingliederungshilfen massiv ausgebaut. Erfahrungen zeigen: 60 Prozent der Menschen, die dank einer solchen Lohnsubvention eine Arbeit finden, haben ein Jahr danach auch noch einen Job.

STANDARD: Man hört aber, dass das AMS auf den neuen Fördergeldern sitzenbleibt, weil die Betriebe kein Interesse haben.

Hundstorfer: Ich streite nicht ab, dass das momentan nicht super funktioniert. Aber das Programm läuft auch erst seit acht Wochen, und über allem schwebt der gegenwärtige Pessimismus. Wenn uns manche Unternehmer und ihrer Vertreter täglich erklären, wie schlecht es uns geht, wird die Stimmung nicht besser werden. Wir manövrieren uns in eine Abwärtsspirale hinein.

STANDARD: Fühlen Sie sich da als Minister ohnmächtig?

Hundstorfer: Die Glückseligkeit hält sich in Grenzen, aber tun könnten wir dagegen schon etwas: die Inlandsnachfrage mit einer Steuersenkung ankurbeln, wenn die ÖVP ihren Widerstand gegen eine Gegenfinanzierung durch Vermögenssteuern aufgibt. Dann hätte die breite Masse mehr Geld zum Ausgeben in der Tasche.

STANDARD: Dafür müssten Sie vor allem die Schlechtverdiener von den Sozialbeiträgen entlasten. Genau diese Gruppe hätte vom SPÖ-Konzept aber gar nichts. Ist das nicht beschämend für eine Partei, die stets Gerechtigkeit propagiert?

Hundstorfer: Warten Sie das Ergebnis ab! Wir vergessen nicht auf diese Gruppe: Sie können sicher sein, dass da etwas passiert. (Gerald John, Grafik: Markus Hametner, DER STANDARD, 3.7.2014)