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Seit 2013 findet sich der "Shitstorm" auch im Duden: "Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht".

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"Die Interaktion verzeiht keine Lügen, keine platten Botschaften. Social Media ist die härteste, direkteste Feedbackschleife", sagt Kommunikationsexperte Rudolf Fußi.

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@derStandardat: Für Ministerin Heinisch-Hosek war ihr Social-Media-Auftritt verhängnisvoll. Hymnen-Shitstorm. Wie wichtig sind soziale Medien für Politiker?

@rudifussi: Wichtig, weil man damit Zielgruppen ansprechen kann, die man über andere Kanäle nur schwer erreicht.

@derStandardat: Der klassische, "alte" Weg, Wähler anzusprechen, war: TV, Radio, Zeitung, Plakat. Social Media - das moderne Bierzelt?

@rudifussi: Eine Art virtueller Stammtisch. Dazu kommt noch ein gewisser Multiplikatoreneffekt, weil auf Twitter viele Journalisten aktiv sind.

@derStandardat: Aber welche ernstzunehmende politische Botschaft ist denn in 140 Zeichen auf Twitter zu formulieren?

@rudifussi: Gegenfrage. Welche ernstzunehmende politische Botschaft haben Faymann und Spindelegger in hunderten Stunden Medienarbeit postuliert?

@derStandardat: Erarbeiten wir einen kleinen Social-Media-Knigge für Politiker. Ihr wichtigster Rat an Social-Media-Novizen?

@rudifussi: Wenn du nicht bereit bist, auf Augenhöhe zu kommunizieren, dann lass es und bleib bei deiner monologartigen Verlautbarungskommunikation.

@derStandardat: Müssen Politiker im Jahr 2014 in sozialen Netzwerken aktiv sein? Oder reicht aktiv sein lassen, z. B. das Presseteam?

@rudifussi: Politiker müssen sich 2014 erklären. Warum sie das tun, was sie tun. Soziale Medien sind ein Weg. Selbst nichts zu tun, ist zu wenig.

@derStandardat: Was sind die wichtigsten Don'ts bzw. absolute No-Gos in Social-Media-World?

@rudifussi: Die Interaktion verzeiht keine Lügen und keine platten Botschaften. Social Media ist die härteste, direkteste Feedbackschleife, die es gibt.

@derStandardat: Stichwort Shitstorm: Was hat Heinisch-Hosek falsch gemacht mit ihrer Facebook-Nummer gegen Andreas Gabaliers Bundeshymnenversion?

@rudifussi: Oberlehrerhafter Text. Nicht vorhandene Krisenkommunikation. "Was findet ihr schlimm dran, dass Frauen Teil der Hymne sind?" hätte gereicht.

@derStandardat: Aber warum sollte sie sich irgendwelchen Erwartungen der Community vorauseilend anpassen und lieb und nett sein, nur damit's nicht stürmt?

@rudifussi: Geht nicht ums Liebsein. Hymnen-Diskussion ist ja nur ein Symptom, Ursache ist eine tiefe Kluft zwischen Politik und Bevölkerung.

@derStandardat: Etwas über 18.300 Facebook-Kommentare sind im Vergleich zu knapp 6,4 Millionen Wahlberechtigten aber eine echte Mini-Gruppe ... laut halt.

@rudifussi: Ich warne davor, das zu unterschätzen. Die Gruppe jener, die "nur" lesen und nichts kommentieren, ist um ein Vielfaches größer. Reichweite!

@derStandardat: Heinisch-Hosek hat sich die Finger am Facebook verbrannt. Wie steht's um Twitter? Noch riskanter, weil schneller und nur 140 Zeichen?

@rudifussi: Wenn man authentisch, inklusiv, angstfrei und auf Augenhöhe kommuniziert, kann wenig schiefgehen. Andrä Rupprechter macht das ganz gut.

@derStandardat: Sein "Who the hell is Cameron"-Tweet wurde schnell als potenzieller "Highway to hell"-Sager wieder gelöscht. Gut gemacht oder peinlich?

@rudifussi: Ich fand das erfrischend ehrlich. Geradezu ein Lichtblick in dieser Welt voll einheitsbreiartiger Kommunikationsdiarrhöe.

@derStandardat: FPÖ-Chef Strache ist Social-Media-"Topseller". Was macht er richtig - oder nicht falsch?

@rudifussi: Er bindet ein und bedient eine Erwartungshaltung. Er ist bei Wahlen bei Arbeitern klare Nummer eins und folglich auch am virtuellen Biertisch.

@derStandardat: Wie steht's generell um die Social-Media-Kompetenz der österreichischen Parteien bzw. Politiker?

@rudifussi: Grüne+Neos machen das gut. Bei den Großparteien ist mehrheitlich eine Verweigerungshaltung auszumachen.

@derStandardat: Lieber verweigern, als in virtuelle Gefahrenzone begeben? Oder wahltaktischer Fehler?

@rudifussi: Ja, sie kommunizieren im geschützten Bereich. Wahltaktisch? SPÖ braucht bei sinkender Wahlbeteiligung eh nur Pensionisten. Bei VP ähnlich.

@derStandardat: Im Netz geht's oft wüst zu. Was tun gegen notorische Pöbler und Quartalsirre? Ignorieren, gnadenlos wegmoderieren oder als Fanal lassen?

@rudifussi: Ignorieren oder sperren. Ich vertraue auch auf eine gewisse Selbstreinigungskraft der Userschaft. Aber ja, die digitale Psychiatrie gibt es.

@derStandardat: Jedes Gewitter endet irgendwann, dann ist die Luft rein. Was bleibt vom "Shit"-Sturm?

@rudifussi: Es kann eine nachhaltige Beschädigung bleiben oder es kann folgenlos sein. Wir wissen aber von Kühen, dass Sch**** trocknet und abfällt. :-)

@derStandardat: Welche Lehren sollten Social-Media-aktive Politiker aus den Bundeshymnenvorfällen im Netz ziehen?

@rudifussi: Kommunikation ist nur Symptom, Ursache ist schlechte Politik, die auf Machterhalt fokussiert. Kurz: Sie sollen endlich ihren Job machen.

@derStandardat: Die Netz-Community pocht gern auf die "Demokratie" im Netz. Wie kann man die Umgangsformen dort verbessern?

@rudifussi: Wer nicht an Diskussion interessiert ist und herumpöbelt, wird auch keine Antwort kriegen. An "Hasspostern" und Idioten wird's nie mangeln.

@derStandardat: Und Sie als "heavy user" mit 40.700 Tweets seit 2011 - immer gesittet und im Schönsprech-Modus unterwegs?

@rudifussi: Nein, ich bin schon ein "pain in the ass" zeitweise und überschreite hin und wieder die Grenze des guten Geschmacks. Real und online.

@derStandardat: Also schon Tweets gelöscht und auf die Gnade des Vergessens in Twitter-Land hoffen müssen?

@rudifussi: Ja, auch schon Tweets gelöscht. Auf Gnade kann jemand wie ich nicht hoffen, und das finde ich verdammt richtig so.

@derStandardat: Alles gesagt? 140 Zeichen reichen? Oder dürfen's 140 Bonus-Zeichen extra sein?

@rudifussi: Wünsche mir Politiker, die tun, wovon sie überzeugt sind, und Berater wie mich nicht brauchen. Das wäre schlecht für mich, aber gut fürs Land. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 3.7.2014)