Andreas Schaerer - teilte die Bühne auch mit Vokalkollege Bobby McFerrin.

Foto: Emile Holba

Wien - Eines von Andreas Schaerers besten Stücken beginnt im Prinzip nie: Knock Code III kommt über das Einzählen, über die Worte "One, two, three, four", nie hinaus. Es entwickelt sich dennoch, im Stocken und erneuten Anlaufnehmen, in spontan entwickelten Loops, in denen die Stimme in Fantasie- und realen Sprachen diverse Register vom Zischen und Grummeln bis zu vergnügtem Gebrabbel durchwandert, zu einer Tour de Force der Stimmklänge.

Schaerer zieht hier alle Register seines Könnens, bringt den Sänger, den Geräusch-Improvisator und den Human-Beatboxing-Meister in sich virtuos wie gewitzt auf den Punkt. Kein Wunder, dass der 37-jährige Schweizer aus dem Kanton Wallis, der in Bern lebt, nun als der Vokalisten-Shootingstar der europäischen Improvisationsmusik bezeichnet wird.

Dies bedeute auch mehr Engagementangebote, als er annehmen kann: "Energetisch ist es anspruchsvoll", so Schaerer zur Nachfrage. "Mein Instrument, meine Stimme, funktioniert nur gut, wenn ich einigermaßen viel schlafe und gesund lebe. Schwierig in Wochen, in denen ich viele Konzerte habe. Aber die Begegnungen mit spannenden Musikern generieren sehr viel Energie."

Andreas Schaerers Einflüsse sind breit gestreut. "David Moss war für mich eine wichtige Entdeckung, Phil Minton sicher auch. Moss hat ein paar Türen geöffnet, als ich ihn gehört habe, auch wie er mit Sprache umgeht. Später auch Mike Patton, in seiner Energie und Aggressivität", beschreibt Schaerer Anstöße auf der Seite der freien Improvisation. Gleichzeitig fallen aber auch Namen wie Nick Drake, Tom Waits oder Bob Dylan.

Bei Kollegen borgen

In Sachen Human Beatboxing beschäftigte sich Schaerer indessen weniger mit Hip-Hop als mit Perkussionisten: "Ich versuche viel von Instrumentalisten zu stibitzen. Ich habe einmal ein Jahr lang Altsaxofonunterricht genommen. Nicht mit dem Anspruch, besonders gut zu werden, sondern um zu wissen, wie viel von der Phrasierung aus den Fingern kommt, wie viel von der Zunge - und was ich stehlen kann."

Die "instrumentale" Stimmschulung Schaerers führt etwa auf der CD The Fundamental Rhythm of Unpolished Brains seines grandiosen Sextetts "Hildegard lernt fliegen" dazu, dass der Leader auch extra als für die "human trumpet"-Sounds Zuständiger ausgewiesen wird, um Verwechslungen mit "echten" Trompetenklängen vorzubeugen. "Hildegard lernt fliegen" ist längst zum zentralen Bandprojekt Schaerers mutiert. Daneben ist er u. a. im Wien-Berner Trio Rom/Schaerer/Eberle mit Gitarrist Peter Rom und Trompeter Martin Eberle unterwegs. Mit Österreich verbindet Schaerer, der auch als Dozent an der Hochschule der Künste in Bern - an der er einst selbst studiert hat - Jazzgesang, Improvisation und Ensemblespiel unterrichtet, die Nähe zur JazzWerkstatt Wien.

Nach deren Vorbild wurde nämlich 2007 die JazzWerkstatt Bern gegründet, Andreas Schaerer war einer der Initiatoren: "Martin Eberle war in Bern, hat hier studiert und wurde angefixt von der JazzWerkstatt Wien. Er hat dafür gesorgt, dass wir nach Wien eingeladen wurden, um dort zu spielen. Dort waren wir weggeblasen von der Energie einer jungen Szene, die auf die Etablierten gepfiffen und sich ihre eigene Plattform geschaffen hat."

Das habe infiziert, "das wollten wir auch machen", so Schaerer, der seit einigen Jahren - etwa im Rahmen der Oper Bobble - auch immer wieder mit Bobby McFerrin zusammenarbeitet: 2012 bat ihn der Meister beim Jazzfestival Cully spontan auf die Bühne, um ein hinreißendes Duo-Set zu improvisieren. Dass Schaerer wenig später mittels eigener Aussendung auf die daraus resultierenden Youtube-Videos verwies, macht ihn, den zurückhaltenden, sympathischen Musiker, heute fast verlegen: "In der Schweiz leben sehr bescheidene Menschen. Wenn ich heute Geburtstag hätte, darf ich das niemandem sagen, obwohl ich gerne feiern würde! Ich habe das lange so gemacht, dann aber gemerkt: Die Welt funktioniert nicht so. Das, womit du Freude hast, darfst du weiter geben!" (Andreas Felber, DER STANDARD, 2.7.2014)