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1991 begann man in Südafrika, Löwen in kleinen Reservaten unter umfassender Kontrolle anzusiedeln. Die Raubkatzen vermehrten sich seitdem so stark, dass man nun vor dem Problem steht, wie man mit den überzähligen Tieren umgehen soll.

Foto: 2/Ocean/Corbis

Pretoria/Wien - Zu Beginn unserer Zeitrechnung streiften Löwenrudel noch in Nordafrika und dem Mittleren Osten umher. Bis nach Nordindien reichte ihr Verbreitungsgebiet, nur Regenwälder und echte Wüsten wurden von Panthera leo gemieden. Aufgrund der gnadenlosen Verfolgung durch den Menschen wurde der Löwe vielerorts ausgerottet und konnte sich nur noch in Teilen Afrikas südlich der Sahara halten. Und auch dort ist er zunehmendem Druck ausgesetzt.

In Südafrika waren die majestätischen Großkatzen 1991 aus den meisten Regionen des Landes verschwunden. Sie kamen fast nur noch im berühmten Krüger Nationalpark und im Kgalagadi-Schutzgebiet vor. Dann jedoch begann man mit einer neuen Strategie: Man siedelte Löwen in kleinen staatlichen wie auch in privaten Reservaten an.

Weitläufige Löwengehege

Solche Parks verfügen über deutlich weniger als 1000 Quadratkilometer Fläche und sind eingezäunt. Ihre Wildtierpopulationen unterliegen dadurch einer umfassenden Kontrolle. Es sind praktisch Gehege, wenn auch sehr weitläufige. "Alle Löwen müssen in Südafrika per Gesetz hinter Zäunen leben", erklärt die Biologin Susan Miller von der Tshwane University of Technology in Pretoria gegenüber dem Standard. Auch der Krüger Nationalpark sei mittlerweile abgeschirmt. Lediglich im Dreiländereck zwischen Südafrika, Simbabwe und Botswana gebe es noch eine kleine, vollkommen frei lebende Löwenpopulation mit etwa 50 Tieren.

Diese Wiederansiedlungsmaßnahmen erwiesen sich als überaus erfolgreich. Inzwischen umfasst der Gesamtbestand von Panthera leo im Land am Kap der Guten Hoffnung über 2.500 Exemplare. 700 davon sind in kleinen, eingezäunten Schutzgebieten beheimatet. In diesen Reservaten ist es zu einem bemerkenswert starken Populationswachstum gekommen. Beutetiere und Wasser stehen reichlich zur Verfügung, und die Gefährdung von Löwenwelpen ist gering. "Es scheint, als hätten wir die perfekte Umgebung für die Fortpflanzung von Löwen geschaffen, und das nutzen sie voll aus", sagt Susan Miller.

Für die Parkverwaltungen jedoch stellt die wundersame Raubtiervermehrung ein Dilemma dar. Mancherorts wusste man schon wenige Jahre nach der Wiederansiedlung nicht mehr, wohin mit den Löwen. Die Ökosysteme bieten schließlich nur begrenzt Platz und Ressourcen. Eine natürliche Abwanderung wird von den Zäunen verhindert. Einigen Großkatzen gelang es zwar dennoch, sich davon zu machen, die meisten wurden aber später wieder eingefangen oder erschossen.

Bis 2005 setzte man überzählige Tiere oft noch für die Gründung neuer Populationen ein, doch seitdem ist diesbezüglich die Nachfrage stark zurückgegangen. Nun braucht es eine andere Lösung. In manchen Parks wurden bereits Löwen eingeschläfert oder für zahlende Trophäenjäger zum Abschuss freigegeben. Unter Artenschützern ist die Akzeptanz solcher Praktiken allerdings gering.

Susan Miller hat die Problematik zusammen mit weiteren Experten genauer untersucht. Die Forscher verglichen Daten zu Wachstum und Management von Löwenbeständen in verschiedenen kleineren und größeren Schutzgebieten. Ein wichtiger Grund für die rasche Vermehrung ist offenbar eine Störung in der Sozialdynamik der Tiere.

Natürliche Welpenmorde

In freier Wildbahn ist der Anführer eines Löwenrudels meist ein König auf Abruf. Irgendwann kommt ein kräftigeres Männchen und übernimmt die Herrschaft. Oft tötet er dann die Welpen seines Vorgängers. In den abgesperrten Reservaten jedoch kommt es nur selten zum Thronwechsel und Infantizid, weil keine Rivalen einwandern, erklärt Miller: "Dieses natürliche Regulierungssystem haben wir unterbrochen." Die Überlebensrate des Nachwuchses beträgt knapp 87 Prozent. In der ostafrikanischen Serengeti dagegen schafft es nur etwa die Hälfte der Löwenwelpen, ihr erstes Lebensjahr zu vollenden.

Die Intervalle zwischen den Schwangerschaften sind ein weiterer zentraler Faktor. Interessanterweise sind diese bei den in kleinen Schutzgebieten lebenden Löwinnen deutlich kürzer als bei ihren Artgenossinnen im Kruger Nationalpark, haben Zoologen im African Journal of Wildlife Research entdeckt. Die Ursachen hierfür sind noch unbekannt.

Künstliche Geburtenkontrolle

Um die Fortpflanzung der eingezäunten Großkatzen trotzdem zu bremsen, setzen einige Verantwortliche auf Verhütungsmittel. Die weiblichen Tiere bekommen Implantate verabreicht, die das ovulationshemmende Präparat Deslorelin freisetzen. Ihre Wirkung hält mehr als zwei Jahre an. Eine weitere tierfreundliche Möglichkeit zur Geburtenkontrolle ist die chirurgische Entfernung eines Teils der Gebärmutter. Dadurch behalten die Löwinnen ihren natürlichen Fortpflanzungszyklus, doch die Größe ihrer Würfe wird erheblich reduziert.

Die Haltung von Löwen in abgeriegelten Arealen birgt aus Sicht des Artenschutzes noch weitere Nachteile: Ein natürlicher Genfluss findet nicht statt. Die Bestände in den kleinen Reservaten müssen deshalb wie eine einzige Großpopulation gemanagt werden, so Susan Miller. Dies erfordert den koordinierten Austausch von Tieren zwischen den Schutzgebieten. Die Vorbereitungen für ein solches Programm laufen bereits.

Trotz der diversen Schwierigkeiten sehen manche Experten eingezäunte Refugien als einzige Möglichkeit, Löwenpopulationen dauerhaft vor dem Aussterben zu bewahren. Der Mensch nimmt schließlich immer mehr Land für sich in Anspruch. Abgesehen davon könnte der Klimawandel laut einer neuen Analyse einige angestammte Lebensräume von Panthera leo in den kommenden Jahrzehnten für die Art unbewohnbar machen, vor allem in West- und Zentralafrika. Dadurch können sich Konflikte zwischen Bauern und Viehhalter einerseits, und den Raubtieren andererseits verschärfen. "Idealerweise sollte man die Zäune um die menschlichen Siedlungsgebiete errichten", sagt Susan Miller. Damit wäre vielleicht allen geholfen. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 2.7.2014)