"Dieser Ort ist magisch", sagt Marco Zanini und setzt sich auf das hellblaue Satinsofa in dem kleinen Salon mit Blick auf die Triumphsäule der Place Vendôme. Wir befinden uns im Haus mit der Nummer 21. Noch so ein geschichtsträchtiger Ort im Herzen von Paris. In den 1930er- und 1940er-Jahren befand sich hier die Boutique der legendären Modeschöpferin Elsa Schiaparelli. Das Geschäft im Erdgeschoß existiert heute nicht mehr, wohl aber Schiaparellis Atelier, eine bunt-plüschige Altbauwohnung oben im 3. Stock. Hier steht auch die goldene Sphinx-Statue, die damals das Schaufenster ihrer Boutique schmückte. Man kann sich nur zu gut vorstellen, wie die Skulptur da goldglänzend aus dem Fenster blickte, gleich neben dem obszönen Hummer-Kleid oder umgeben von eigenwilligen Hüten in Form eines umgekehrten Schuhs zum Beispiel.
Alles Stücke, die längst in die Modegeschichte eingegangen sind - und bei den vorbeilaufenden Leuten von damals mehr als Verwunderung hervorgerufen haben. "In ihren Kreationen steckte etwas Unverfrorenes, das vor allem Spießer schockierte. Genau das kam bei den Intellektuellen gut an und hat die damalige Gesellschaft vorangebracht", sagt Zanini, der seit September 2013 Kreativdirektor des Modehauses ist. "Heutzutage kann man in der Mode mit nichts mehr schockieren, im besten Fall sorgt man für Überraschung." Zanini selbst ist die größte Überraschung mitten in diesem Kuriositätenkabinett, welches einmal Elsas Büro war. Zwischen all den skurrilen Bildern von Vértes, Dalí, Cocteau und Bérard, die hier an den Wänden hängen, wirkt er mit seiner dicken schwarzen Brille auf der Nase, Koteletten bis zum Kinn, Karohemd und abgetragenen Vans geradezu real. Surreal, wie Schiaparellis Mode war, sind nur die vielen Tattoos, die seinen Hals, seine Arme und Hände zieren.
Farida Khelfa als Botschafterin
Zanini nimmt sich für das Interview eine kleine Auszeit vom Studio im fünften Stock, wo er mit seinen 20 "petites mains" gerade fleißig an der zweiten Haute-Couture-Show arbeitet. Über 60 Jahre hatte es keine Kollektionen mehr gegeben, 1954 musste Coco Chanels größte Konkurrentin ihr Haus aufgrund finanzieller Schwierigkeiten schließen, und Schiaparelli befand sich seitdem im Dornröschenschlaf.
Doch nun hat Diego Della Valle, der die Rechte des Hauses 2006 erwarb, die Marke wachgeküsst. Um was für ein wichtiges Projekt es sich handelt, zeigt die Sorgfalt, mit der er den Relaunch vorbereitete. Zuerst wurden die Tore des Ateliers wieder geöffnet, Designermuse Farida Khelfa als Botschafterin gekürt und schließlich, knapp zwei Jahre später, ein Designer ernannt. So ein Posten ist nicht leicht zu besetzen. Doch mit Marco Zanini hat sich Della Valle einen Spezialisten ins Boot geholt. Der 42-jährige Italiener hat bereits erfolgreich Marken wie Halstom wiederaufgebaut und danach das französische Label Rochas.
Vionnet, Berluti & Co
Mit dem Relaunch reiht sich Schiaparelli in die immer länger werdende Liste von historischen Häusern, denen in den letzten Jahren wieder neues Leben eingehaucht wurde: Vionnet, Berluti, Moynat, Courrèges oder Belstaff. Das wohl erfolgreichste Revival hat bisher die Marke Carven hingelegt. Designer Guillaume Henry übernahm das in die Jahre gekommene Label 2009 und machte es innerhalb weniger Monate zur Kultmarke - dank zeitgenössischen Designs und klugen Marketings. Aber auch die Historie des Hauses kam ihm bei seinem steilen Aufstieg zugute. Carven war in den 1950er- und 1960er-Jahren ein angesehenes Couture-Haus, von diesem Ruf kann die Marke noch heute profitieren.
Historische Häuser haben einen klaren Vorteil: Ihre Geschichte fungiert wie eine Abkürzung. Man spart sich viele Jahre, in denen das Fundament gelegt, ein neuer Name aufgebaut und am richtigen Image gefeilt werden muss. "Wer den Namen Schiaparelli hört, weiß, dass es hier um die Königsklasse der Mode geht. Die Aura ist bereits da, man muss nicht bei null anfangen", sagt Zanini. Das bestätigt auch Frédéric Godart, Soziologe am Institut européen d'administration des affaires: "Im besten Fall benötigt man zwischen 15 und 25 Jahre, um eine Luxusmarke zu etablieren. Ein Traditionshaus aufzukaufen löst dieses Zeitproblem."
Anstatt mühsam einen neuen Namen aufzubauen, kaufen Investoren wie Arnaud de Lummen heute lieber Marken, die ihren Weg bereits gemacht haben. Mit seiner Firma Luvanis hat er sich darauf spezialisiert, sogenannte "sleeping beauties" aufzuspüren und ihnen neues Leben einzuhauchen. Zusammen mit seinem Vater sicherte er sich schon in den 1980er-Jahren die Rechte für die Marke Vionnet. Doch damals hatten alte Häuser noch nicht den gleichen Reiz wie heute. "Einen Label-Relaunch hielt man für fantasielos", sagt de Lummen. Vor zehn Jahren brachte der PPR-Konzern (heute Kering) daher noch Labels wie Stella McCartney auf den Markt oder investierte in Marken wie Alexander McQueen.
Riskanter Aufbau
Doch die Zeiten haben sich gewandelt. Zwar wurde Christopher Kane Anfang letzten Jahres von Kering aufgekauft und LVMH beteiligte sich anteilig an jungen aufstrebenden Marken wie JW Anderson oder Maxime Simoens, doch die Investition in junge Designer wird immer seltener. Der Aufbau einer neuen Marke sei riskant, erklärt Frédéric Godart. "Die Misserfolgsquote ist sehr hoch. In manchen Fällen sogar bis zu 70 Prozent in den ersten zehn Jahren." Infolgedessen sei die Strategie, alte Häuser wieder aus der Versenkung zu holen, eine logische Konsequenz. Der Kontext der Krise habe den Trend außerdem noch verstärkt. Zahlreiche Marken spielen in den letzten Jahren mit dem Reiz der Tradition. Werte wie Überlieferung, Beständigkeit und Qualität sind heutzutage wieder gefragt wie nie. So könne man Ausgaben für teure Luxusgüter rechtfertigen, die andernfalls als unnötig betrachtet werden, so Godart. Trotzdem muss die Strategie, auf Altbewährtes zu setzen, nicht zwangsläufig funktionieren. "Manchmal lassen sich die alten Codes nicht einfach eins zu eins auf die heutige Zeit übertragen."
Gerade bei einem Haus wie Schiaparelli ist das eine besondere Herausforderung. "Das Problem ist, dass es schon so viele Referenzen gibt. Es ist eine Gratwanderung, wenn man nah an dem bleiben möchte, was Elsa gemacht hat, und sich trotzdem abgrenzen möchte von dem, was andere schon gezeigt haben", sagt Zanini. In der Tat: Schaut man sich den Parfumflakon in Form eines nackten Oberkörpers von Schiaparellis legendärem Duft "Shocking" an, muss man unweigerlich an Jean Paul Gaultier denken. Oder Schiaparellis berühmten Trompe-l'OEil-Pullover mit eingestrickter Schleife am Kragen -so oft zitiert, dass man schon gar nicht mehr weiß, wer da von wem abgeschaut hat.
Überdimensionale Puffärmel
Kein leichter Job also, den Geist von Elsa in Ehren zu halten, ohne sich dabei zu wiederholen. Doch Zanini hat sich mit seiner ersten Kollektion im Jänner gut geschlagen. "Für mich war Elsa Schiaparelli eine sehr eklektische Frau und Designerin. Deswegen haben wir eine Show mit 19 ganz unterschiedlichen Frauen gemacht: 19 Looks, die jeweils verschiedene Facetten einer weiblichen Persönlichkeit zeigen."
Und die sahen so aus: Da war die Dame mit den überdimensionalen Puffärmeln, das Mädchen mit dem wendbaren Feder-Sakko, die wilde Rothaarige im paillettenbesetzten bodenlangen Sackkleid, die Lady in Black oder die Elfe im Seidenchiffon. Kein Hummer, kein Trompe-l'OEil, kein Schockmoment. Dafür aber eine originelle und humorvolle Kollektion, mit der Zanini sein Ziel, für ein bisschen Überraschung zu sorgen, erreicht hat. Wobei das bei einer allerersten Kollektion auch kein Kunststück ist. Das weiß auch der Designer. "Es ist wie ein Blind Date", sagt er. "Der Überraschungseffekt kommt ganz von selbst. Jetzt gilt es, den Erwartungen weiter zu entsprechen." Am 7. Juli hat er die Chance dazu. An diesem Tag zeigt er seine zweite Kollektion. (Estelle Marandon, Rondo, DER STANDARD, 4.7.2014)