Die Masche kommt bekannt vor: Je mehr Rechtsaffären ein Politiker anhäuft, desto lauter spricht er von einem "Komplott der Richter". Nicolas Sarkozy plagiiert diesbezüglich Silvio Berlusconi. Allerdings ist Frankreich nicht Italien; das französische Justizsystem ist unabhängiger von der Politik. Sogar konservative Anhänger des Ex-Präsidenten verlangten am Dienstag, die Richter sollten ganz einfach ihre Arbeit tun. Linkspolitiker meinten ohnehin, es gehe bei dem Polizeigewahrsam für Sarkozy nicht um dessen Präsidentschaftspläne, sondern einzig um Justiz.

Letzteres stimmt höchstens für die ermittelnden Richter. Die französischen Medien und Politiker interessiert allein eine Frage: Hat Sarkozy noch eine Chance, 2017 erneut Staatspräsident zu werden?

Schmach von 2012 ausmerzen

Eines ist sicher: Der 59-jährige Vollblutpolitiker brennt darauf, erneut anzutreten und seine Schmach von 2012, als er von einem "Monsieur Normal" wie François Hollande besiegt wurde, auszumerzen. Gegen außen spielt er den lockeren Unbeteiligten, der sich bei gut bezahlten Gastreferaten und bei Konzertauftritten seiner Frau Carla Bruni verlustiert.

Wie oft bei dem rührigen Ex-Präsidenten wirkt das reichlich aufgesetzt: Seit Monaten wirft sich Sarkozy in die Pose, er wolle wie einst Charles de Gaulle gar nicht Präsident werden, sondern tue mit seiner Kandidatur nur seine "Pflicht", indem er dem Ruf des Volkes folge.

Sarkozy ist ein talentierter Schauspieler, und zumindest jene Franzosen, für die Politik ein einziges Theater ist, scheinen nach wie vor gewillt, in ihrem "Nico" den Heilsbringer in harten Zeiten zu sehen. Zumal François Hollande so ziemlich alle Hoffnungen enttäuscht hat und Marine Le Pen keine eigenen verdient.

Keine schlüssigen Beweise

Und nicht zu vergessen: Sarkozy ist ein politischer Vollprofi, der von Staranwälten und -kommunikatoren umgeben ist. So viele Affären er am Hals hat, in keiner einzigen gibt es schlüssige Beweise gegen ihn. Der Ex-Anwalt Sarkozy, der nie schriftliche Spuren hinterlässt, ist zwar in allen Affären der Hauptnutznießer, aber den Kopf müssen andere für ihn hinhalten. In der Tapie-Affäre ist das zum Beispiel Christine Lagarde, in der Bettencourt-Affäre sein Ex-Finanzier und -Minister Eric Woerth, in der UMP-Affäre seine ehemalige rechte Hand Eric Cesari.

Nein, Sarkozy ist nicht zu unterschätzen. So schnell wird der Zampano nicht von der Bühne abtreten. Und darin liegt das Problem für Frankreich. Sarkozy, der während seiner Amtszeit 2007 bis 2012 die Arbeitslosigkeit und die Staatsschuld ankurbelte, hat nur aufregendes Spektakel zu bieten. Sein Land bräuchte das Gegenteil, nämlich unaufgeregte Reformen, die wirklich etwas verändern, die Frankreich wirklich aus der Patsche helfen. Das vermag kein Politiker, der selbst in der Affären-Patsche sitzt. Sarkozy darf den imaginären Ruf des Volkes überhören, ganz locker unbeteiligt. (Stefan Brändle, derStandard.at, 1.7.2014)